Vor fünf Jahren eroberten chinesische Käufer den deutschen M&A-Markt. Heute ist von der China-Nachfrage kaum noch etwas zu spüren, und die mangelnde Distanz Chinas zu Russland macht Deals mit dem fernen Osten politisch noch komplizierter. Auch Geschäftsmodelle werden kritischer beäugt: Verkommt das China-Geschäft bei der Unternehmensbewertung vom Bonus zum Malus?
Auf den Hundt gekommen: Anfang Juli hat das chinesische Industrieunternehmen Westron Group nach mehrjähriger Restrukturierung die Mehrheit am Uhinger Automobilzulieferer Allgaier übernommen und rund 80 Prozent der Anteile der Gesellschafterfamilie um den langjährigen Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Dieter Hundt abgekauft. Der M&A-Deal ist zwar nicht das erste deutsche Investment von Westron, lässt aber dennoch aufhorchen, weil er zu einer Zeit über die Bühne geht, in der westliche Unternehmensverkäufe ins Reich der Mitte politisch zunehmend kritisch gesehen werden.
Vor fünf Jahren sah die Welt noch komplett anders aus. Russland befand sich nicht im Krieg mit der Ukraine und die wirtschaftlichen Spannungen mit China waren gering. Kaum ein M&A-Prozess fand ohne chinesische Interessenten statt. Dann kam die Übernahme des Augsburger Roboterbauers Kuka durch den chinesischen Mischkonzern Midea. Er wurde zum Politikum und schürte die Angst vor dem Ausverkauf deutscher Technologie.
Seitdem sind die Zahlen tendenziell rückläufig. Im ersten Quartal 2022 sank das Transaktionsvolumen chinesischer Unternehmen und Investoren in Übersee einer Erhebung des Wirtschaftsprüfers EY zufolge auf den historischen Tiefstand von 5,9 Milliarden US-Dollar. Das ist nur ein Drittel des Vorjahres (16,9 Milliarden) und ein Viertel des Vergleichswerts von 2018 (23,9 Milliarden). Mit 43 Transaktionen im Gesamtwert von rund 2,1 Milliarden Dollar ist Europa und allen Voran Deutschland aber weiterhin die beliebteste Investment-Region chinesischer Käufer.
Der von Ex-US-Präsident Donald Trump angezettelte Handelskrieg der USA mit China und der im Februar gestartete Überfall auf die Ukraine durch Russland, von dem sich China nicht eindeutig distanziert hat, hat die geopolitischen Spannungen weiter angeheizt. Die Nato bezeichnet China zwar nicht wie Russland als „Bedrohung“, aber erstmalig als „strategische Herausforderung“. Der Verkauf der Unternehmensgruppe Allgaier zeigt zwar, dass M&A mit China noch möglich ist, allerdings wurde die Transaktion noch im Februar vor dem Kriegsausbruch in die Wege geleitet. „Die politischen Spannungen werden Transaktionen künftig verkomplizieren und die Transaktionswahrscheinlichkeit senken“, sagt Ralf-Georg Mittler, der bei der Deutschen Bank das Beratungsgeschäft mit mittelständischen Fusionen und Übernahmen in der Corporate Bank leitet.
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Milliarden Dollar bezahlten chinesischer Investoren im ersten Quartal für Firmen in Übersee
Schon lange gilt: Die Politik mischt bei M&A-Deals mit – in Deutschland ist konkret das Wirtschaftsministerium über das verschärfte Außenwirtschaftsgesetz eingebunden. In den USA prüft das Committee on Foreign Investment in the United States (CFIUS) Transaktionen mit US-Bezug auf Gefahren für die nationale und inzwischen auch wirtschaftliche Sicherheit der USA. In China sind Deutsch-Banker Mittler zufolge das Handelsministerium der Volksrepublik China (MOFCOM) und die Kommission zur Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen (SASAC) die entscheidenden Kontrollgremien, die bei einer Transaktion ihr Veto einlegen können.
„Die politischen Spannungen werden Transaktionen künftig verkomplizieren und die Transaktionswahrscheinlichkeit senken.“
Ralf-Georg Mittler, Deutsche Bank
Mittler berichtet, dass das Interesse chinesischer Käufer an deutschen Firmen abgenommen hat. Doch immer noch gäbe es Sektoren, auf die China weiterhin heiß sei: Hightech, Pharma, Medtech und beispielsweise alles rund um das Thema Wasserreinheit. Für Unternehmen dieser Branchen seien chinesische Käufer weiterhin bereit, hohe Bewertungen zu bezahlen. „Wenn wir mit Mittelständlern sprechen, dann wollen die in den allermeisten Fällen aber nicht mehr nach China verkaufen“, sagt Mittler, der etwa in vier von fünf Fällen für die Verkäuferseite arbeitet. Die typische Ansage von Mittelständlern sei es, in der westlichen Welt und bei Finanzinvestoren nach einem geeigneten Käufer zu suchen.
Die fetten Jahre am M&A-Markt, als chinesische Investoren horrende Bewertungen für deutsche Unternehmen bezahlt haben, scheinen vorbei zu sein. Und noch ein anderes Pendel könnte bald zurückschwingen: China war für viele Unternehmen jahrelang der größte Wachstumsmarkt, der beim Verkauf die Bewertung nach oben trieb. Einen Fuß in China zu haben und den Marktanteil von zwei auf zehn Prozent ausbauen zu wollen war lange eine gute Geschichte. Solche Pläne dürften heute auf Skepsis treffen – wird der China-Bonus zum Malus?
M&A-Berater Mittler hält signifikantes China-Geschäft nicht für einen Dealbreaker. „Für einen Mittelständler, der 10 bis 20 Prozent seines Umsatzes in China macht, ist der Bewertungseinfluss nicht so dramatisch“, sagt der Deutsch-Banker. Eine Sum-of-the-Parts-Betrachtung mit einem pauschalen Malus für das China-Geschäft beobachtet der Deutsch-Banker am Markt noch nicht. Als Verkäufer habe man typischer Weise keine Transparenz darüber, welchen Stellenwert der China-Einfluss in den Bewertungsmodellen des Käufers habe.
„Niemand würde ein Unternehmen mit signifikantem China-Geschäft kaufen, wenn er nicht langfristig an den Markt glauben würde.“
Ralf-Georg Mittler, Deutsche Bank
Jeder Käufer muss laut Mittler für sich entscheiden, ob er von China als Wachstumsmarkt überzeugt ist oder nicht. „Niemand würde ein Unternehmen mit signifikantem China-Geschäft kaufen, wenn er nicht langfristig an den Markt glauben würde“, vermutet Mittler. Als Käufer würde Mittler in der aktuellen Situation Szenarioanalysen fahren, die Wachstumsannahmen in China in den Bewertungsmodellen etwas reduzieren und dann sehen, was für eine Bewertung herauskommt. Ob die unter Umständen dann geringere Bewertung am Markt auch durchsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt und hängt stark von der Attraktivität des Zielunternehmens und der damit verbundenen Bieterdynamik ab.
Auch wenn M&A-Deals mit chinesischer Komponente also aufgrund politischer Spannungen komplizierter geworden sind, ist China nicht Russland. Signifikantes Russlandgeschäft ist ein Dealbreaker, signifikantes China-Geschäft nicht – der eine oder andere Marktteilnehmer richtet seinen Blick aber sicherlich nicht mehr ganz so bullish nach Fernost wie noch vor einigen Jahren.
07/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Philipp Habdank. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.