Des einen Leid, des anderen Kauf

In der Krise werden Märkte neu verteilt – mutige Unternehmer nutzen die Chance, die eigene Position für die Nachkrisenzeit zu stärken. Doch anders als bei der Finanzkrise 2008/09 sorgen keine Übernahmen durch Familienunternehmen für Schlagzeilen. Warum?

Vapiano

Da geht noch was, sind sich die neuen Investoren bei Vapiano sicher. Auch wenn für Restaurants die Zeiten wahrlich schwer sind. Foto: picture alliance/Ilgner

Bittere Nachricht für die deutschen Mitarbeiter des 1838 gegründeten Schuhherstellers Peter Kaiser: Anfang April mussten alle gehen – bis auf den Geschäftsführer Stefan Frank. Gemeinsam mit einem Ehepaar aus der Wella-Gründerfamilie hat er das Unternehmen übernommen und restrukturiert es erst einmal gründlich. Peter Kaiser hatte im vergangenen Jahr 40 Prozent an Umsatz verloren – zu viel für das Pirmasenser Unternehmen.

Auch andere Unternehmer haben in der Krise die Gelegenheit genutzt. Drogeriekettengründer Dirk Rossmann sorgte mit einer kleinen Beteiligung an Bastei Lübbe für Schlagzeilen, indirekt beteiligte er sich zudem am Onlinesupermarkt Getnow. Der war im Wirecard-Strudel mit hinabgerissen worden, weil Jan Marsalek ein wichtiger Geldgeber von Getnow gewesen war. Dennoch sind es vielfach Finanzinvestoren und Konzerne, die jetzt schon aktiv sind. Es fehlen in dieser Krise bislang die „Opportunisten“, die mit gewagten Deals die Krise zum großen Sprung nach vorn nutzen.

„Bei manchen Unternehmen finden große Teile der Due Diligence und Verhandlungen bereits online statt.“

Ervin Schellenberg, Capitalmind

Das war in der Finanzkrise 2008/09 ganz anders. Damals brachen riskante Finanzierungsstrukturen zusammen und konnten operativ solide Unternehmen ruinieren. Ratiopharm und Anteile von HeidelbergCement mussten nur deshalb verkauft werden, weil sich Adolf Merckle verspekuliert hatte. Und auch wenn Schaefflers waghalsiger Übernahmeversuch von Continental letztlich gut ausging, wäre das Familienunternehmen fast daran zerbrochen. Porsches Husarenstück der VW-Übernahme scheiterte.

Zwar war nach der Krise der Zugang zu Kapital schwierig, doch wer solide finanziert war, konnte die günstige Gelegenheit zum Wachstumssprung nutzen. 2010 war nach Angaben von PwC jedes zehnte befragte mittelständische Unternehmen an einer Transaktion beteiligt. Wichtigster Treiber für die Zukäufe: Markterschließung.

Gewinner kaufen Gewinner

Diesmal teilen Gewinner und Verlierer vor allem die Branchengrenzen – Demarkationslinien, die schon vor dem Ausbruch der Pandemie klar gezogen waren. Die Gewinner wie Technologieunternehmen, vom Onlinehandel bis zur Elektromobilität, hatten bereits vorher sehr hohe Bewertungen. In der Coronakrise stiegen diese weiter, weil die Digitalisierung in der Pandemie weltweit an Fahrt gewann. Auf Schnäppchen durfte und darf da auf absehbare Zeit niemand hoffen. Diese Transaktionen werden auch durch die Pandemie nicht ausgebremst, berichtet M&A-Berater Ervin Schellenberg, Managing Partner von Capitalmind in Deutschland: „Bei manchen solcher Unternehmen finden große Teile der Due Diligence und Verhandlungen bereits online statt.“ Viele kleinere Tech-Unternehmen wurden zu stolzen Preisen veräußert. Den Spielehersteller Sandbox Interactive beispielsweise verkauften die Gründer für mehr als 130 Millionen Euro; das EBITDA betrug in den ersten drei Quartalen 2020 rund 5,2 Millionen Euro. Siemens Healthineers zahlte für den US-Medizintechniker Varian das Fünffache des Umsatzes.

Fielmann

Mit dem Kauf der drittgrößten Optikerkette in Spanien
ist Fielmann nun auf 15 Märkten vertreten.

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Foto: Universitaria

Rossmann

Dirk Rossmann hat auch zugegriffen – und sich indirekt
am Onlinesupermarkt Getnow beteiligt.

Rossmann

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Rossmann

getnow.de

Die Käufer können sich solche Preise leisten, denn sie stehen in der Regel selbst auf der Gewinnerseite. Meist sind es Tech-Konzerne, deren Bewertungen schwindelerregende Höhen erklommen haben und die mit dem Zukauf kleiner Spezialisten ihr Leistungsportfolio arrondieren.

Auf der anderen Seite steht eine Vielzahl von Pandemieverlierern. Unternehmen, die die Nachfolge verschleppt oder notwendige Umbauten in den guten Zeiten vor der Krise unterlassen haben. Und Branchen, die strukturell „schwierig“ oder von der Pandemie besonders gebeutelt sind. Der M&A-Markt für Maschinen- und Autobauer, Touristiker und (Mode)händler ist eingebrochen. Niemand, der es vermeiden kann, verkauft sein strauchelndes Unternehmen (jetzt). Außerdem erschweren in diesen Märkten die großen Unsicherheiten Transaktionen (siehe results 1/2020: „Von Preisen und Werten“).

Vielleicht gibt es, wie von M&A-Professionals prognostiziert, 2021 die große Aufholjagd, wenn die Pandemie tatsächlich ihrem Ende zugeht. „Wir sehen viele Transaktionen, die kurz vorm Abschluss stehen. Es fehlen manchmal nur noch eine technische Due Diligence, die Betriebsbesichtigung – also die Teile des Prozesses, die Vor-Ort-Treffen voraussetzen. Das betrifft vor allem große, internationale Deals. Sobald das wieder geht, könnte es einen raschen Peak geben“, erwartet M&A-Berater Schellenberg. Und vielleicht rollt dann auch die lang erwartete Insolvenzwelle über das Land – falls sie nicht angesichts der anstehenden Wahlen durch staatliche Eingriffe weiter aufgehalten wird. Die Transaktionen werden wieder zunehmen, doch klar ist auch: Je mehr Sicherheit es im Markt gibt, desto schwieriger werden Schnäppchen.

130 Millionen Euro

bekamen die Gründer von Sandbox Interactive für
ihr Unternehmen, das in drei Quartalen nur 5,2 Millionen Euro verdient hatte.

Und es gibt sie doch

Wer genau hinschaut, findet abseits der Schlagzeilen mittelständische Unternehmen, die schon jetzt zugegriffen haben. Unternehmen aus den vermeintlichen „Krisenverliererbranchen“ wie Handel, Gastronomie, Maschinenbau. Die mittelständische Bergland-Gruppe, die zahlreiche Ford-Autohandelshäuser vereint, hat im Sommer 2020 das Autohaus Weil mit drei Standorten übernommen. Die eigentümergeführte Polipol-Gruppe, Polstermöbelspezialist aus Niedersachsen, hat wichtige Assets der insolventen Oschmann Comfortbetten GmbH übernommen. Fielmann hat Ende 2020 die drittgrößte Optikerkette in Spanien gekauft und ist nun in 15 Märkten Europas vertreten. Der insolvente Grillhersteller Landmann, immerhin Deutschlands Nummer 2, ging an die norddeutsche Handelsgruppe DS unter Führung des TV-bekannten Ralf Dümmel. Der eigentümergeführte Stahlverarbeiter Südstahl, Lieferant für den Anlagen-, Maschinen- und Werkzeugbau, hat Anfang dieses Jahres den Geschäftsbetrieb der insolventen Schwab Lagertechnik erworben. Selbst bei Restaurants tut sich etwas: Der ehemalige Vapiano-Vorstand Mario Bauer übernahm gemeinsam mit anderen Investoren wie dem Vapiano-Mitgründer Gregor Gerlach einen Großteil von Vapiano.

04/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.