Viele deutsche Mittelständler sind vom Krieg in der Ukraine betroffen. Hauke Burkhardt und Thomas Buschmann berichten, was ihre Kunden bewegt, wie die Bank sie unterstützen kann und welche langfristigen Folgen der Krieg haben wird.
Der Krieg in der Ukraine hat uns alle kalt erwischt. Wie haben Ihre Kunden reagiert?
Buschmann: Ich habe anfangs vor allem eine enorme Betroffenheit gespürt. Viele unserer Kunden haben sich zunächst um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter gekümmert. Das hat mich sehr beeindruckt. Wir haben mit Corona in den vergangenen Jahren schon einiges erlebt. Das hat uns auch enger mit unseren Kunden zusammengeschweißt. Dieser Krieg hat aber noch einmal eine andere Dimension. Von Corona waren und sind einzelne Unternehmen stark betroffen, viele dagegen kaum. Von dem Krieg sind aber nicht nur die Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen zu Russland oder der Ukraine betroffen. Er trifft, vor allem über die steigenden Energiepreise, die gesamte deutsche Volkswirtschaft.
Bleiben wir erst einmal bei den Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen in der Region. Mit welchen Problemen sind sie konfrontiert?
Burkhardt: Zunächst einmal: Keiner hatte wirklich mit diesem Szenario gerechnet. Als das Ausmaß offenkundig wurde, haben sich unsere Kunden zunächst mit der Frage beschäftigt, was der Krieg für ihre Tochtergesellschaften in der Ukraine und in Russland bedeutet. Viele haben Krisenstäbe aufgesetzt. Die erste Priorität war – natürlich neben den Mitarbeitern – die Fortführung des Geschäfts. Rasch stellte sich die Frage, welchen Einfluss die Ereignisse auf den Absatz und auf Zulieferungen haben würden und ob die Produktion vor Ort fortgeführt werden kann und sollte. Auch die Zahlungsströme kamen auf den Prüfstand: Wie kann man Rubel konvertieren, was sind Onshore- und Offshore-Rubel? Es ist nicht trivial, alle neuen Vorgaben zu erfassen und korrekt umzusetzen. Die Sanktionen kommen aus verschiedenen Jurisdiktionen und sind nicht alle deckungsgleich. Außerdem gibt es sektorale Sanktionen, bei denen es um konkrete Güter geht. Dazu kommt der Ausschluss von Banken aus dem SWIFT-System, der weitere Fragen aufwirft: Sind meine Hausbanken vor Ort betroffen? Kann ich noch Rechnungen bezahlen? Sie sehen: ein Strauß an Themen, die ich die Primäreffekte nennen möchte.
„Unsere Kunden stellen viele Fragen und erwarten Antworten von ihrer Bank.“
Wie haben Sie als Bank versucht zu helfen?
Buschmann: Wir haben sehr frühzeitig ein Informationssystem aufgebaut, ähnlich wie in der Pandemie. Unsere Kunden stellen viele Fragen und erwarten Antworten von ihrer Bank. Dafür steht ihnen unser Osteuropa-Helpdesk zur Seite, das wir gemeinsam mit vielen Kollegen an einem Wochenende aufgebaut haben. Die englische und deutsche Osteuropa-Webseite wird von uns laufend mit Fragen und Antworten zu Themen aktualisiert, die uns täglich seitens unserer Kundschaft erreichen - von Handelsfinanzierung, Zins- und Währungsmanagement bis hin zum Zahlungsverkehr. Der Informationsstand wird fortlaufend aktualisiert. Außerdem bieten wir hier nützliche Links zu den Industrie- und Handelskammern, zu Außenhandelskammern und zum Ost-Ausschuss des Deutschen Wirtschaft e.V. an. Weiterhin stehen wir im regelmäßigen Austausch mit der Task Force des Ost-Ausschusses. Für unsere Informationsportale haben wir eng zusammengearbeitet, auch mit unseren Kollegen aus Russland und der Ukraine. Das waren schon sehr bewegende, manchmal auch nicht einfache Momente.
Konnten Sie wirklich vorab wissen, welchen Informationsbedarf Ihre Kunden haben würden?
Buschmann: Das war in seiner ganzen Dimension nicht vorhersehbar. Darum war es auch so wichtig, dass wir gleich am Wochenende nach dem Angriff auf die Ukraine alle Verantwortlichen der einzelnen Produktbereiche zusammengeholt haben. Inzwischen liegen uns auch eine Vielzahl von Fragen der Kunden vor, die regelmäßig in unsere Helpdesk-Webseite einfließen. Mittlerweile verfügen wir dort über ein breites Spektrum an Wissen, das wir gern mit unseren Kunden teilen. Dafür bekommen wir sehr viel positive Resonanz. Darüber freuen sich auch unsere Mitarbeiter, die unmittelbar nach Kriegsbeginn enorm viel und schnell gearbeitet haben.
Thomas Buschmann ist Leiter der Unternehmensbank Nordwest der Deutschen Bank.
Sie sprachen die Primäreffekte an. Welche Sekundäreffekte sehen Sie?
Burkhardt: Die Sekundäreffekte betreffen die strategische Aufstellung unserer Kunden: Was bedeutet es, wenn ein Unternehmen keine Lieferungen mehr aus den Gebieten bekommt? Da geht es um so unterschiedliche Produkte wie Metalle, Sonnenblumenöl oder komplette Kabelbäume für Autos. Andere haben Absatzmärkte in der Region, auch wenn Russland für die meisten unserer Kunden prozentual nur einen kleinen Teil ausmacht und viele ihr Geschäft nach der Annexion der Krim schon deutlich heruntergefahren hatten. Trotzdem sind zahlreiche Unternehmen vor allem aus den Branchen Konsum- und Industriegüter sowie Handel betroffen.
Wer auf der Absatz- oder der Produktionsseite in der Region aktiv ist, der dürfte doch schon lange alarmiert gewesen sein …
Buschmann: Natürlich ist der Mittelstand auf Einiges vorbereitet. Aber die Heftigkeit des Konflikts hat doch viele überrascht, auch wenn sich die Krise in der Region seit der Annexion der Krim immer deutlicher abgezeichnet hat. Einige unserer Kunden haben deshalb in den vergangenen Monaten bereits Investitionsentscheidungen zurückgestellt. Das zahlt sich jetzt aus – und wie wir es vom deutschen Mittelstand gewohnt sind, arbeiten viele bereits an neuen Strategien, um sich auf die veränderten Gegebenheiten einzustellen.
Hauke Burkhardt ist Global Head of Lending Deutsche Bank Unternehmensbank.
Wie sind die Unternehmen im Einkauf betroffen?
Burkhardt: Auf der Lieferantenseite geht es fast ausschließlich um Rohstoffe, und zwar um Energie und Metalle sowie um Getreide und Dünger. Das erste Thema sind hier die Kosten. Wir sehen generell steigende Preise, zusätzlich gibt es ein spekulatives Element, wie etwa die dramatischen Schwankungen bei Nickel gezeigt haben. Das kann beim Hedging hohe Sicherheitsleistungen erfordern, die einen gewaltigen Liquiditätsabfluss bedeuten können. Das zweite Thema ist die Verfügbarkeit. Viele Kunden sorgen sich, ob sie überhaupt noch Zugriff auf notwendige Rohstoffe und Vorprodukte bekommen. Und selbst wenn sie Rohstoffe bestellen können, wissen sie nicht, wann sie geliefert werden. Einige Transportwege stehen nicht mehr zur Verfügung, und Sanktionsprüfungen verzögern die Lieferung zum Teil zusätzlich.
Welche Folgen hat das für die Lieferketten?
Burkhardt: Die Resilienz der Lieferkette war ja schon vor dem Krieg ein wichtiges Thema, denken wir nur an die Chip-Krise, an die Havarie im Suez-Kanal oder an die coronabedingte Schließung des Hafens Shenzhen. Aber jetzt verändert sich der Blick auf die Sicherheit von Lieferketten noch einmal. Viele Kunden werden ihre Lieferantenbasis diversifizieren. Außerdem wird das Sourcing zunehmend lokalisiert, weil der Transport nicht nur unsicherer, sondern auch teurer geworden ist. Und schließlich werden viele Unternehmen von „just in time“ auf „just in case“ umstellen und wieder ein größeres Warenlager aufbauen. Damit müssen auch wir als Bank umgehen: Wir haben immer hohe Renditen und wenig gebundenes Kapital geschätzt. Jetzt müssen wir vielleicht lernen, dass etwas weniger profitable, aber dafür sicher aufgestellte Unternehmen möglicherweise resilienter sind. Außerdem sorgen der Aufbau von Warenlagern und die Produktionsausweitung bei den neuen Lieferanten natürlich auch für neuen Finanzierungsbedarf, für den wir als globale Hausbank gern bereitstehen.
„Viele Kunden sorgen sich, ob sie überhaupt noch Zugriff auf notwendige Rohstoffe und Vorprodukte bekommen.“
Wie wirken sich denn die steigenden Energiekosten bei Ihren Kunden aus? Senken sie nur die Rendite oder bedrohen sie Existenzen?
Buschmann: Die Unternehmen mit energieintensiven Geschäftsmodellen müssen sich schon auf deutlich steigende Kosten einstellen. Es ist im Moment nicht leicht, diese einfach an die Kunden weiterzureichen. Deshalb werden einige Firmen schon zu kämpfen haben. Das hängt auch von der Dauer des Krieges ab. Allerdings steigen die Energiepreise schon seit einiger Zeit – nicht nur wegen der Ukraine. Daher haben viele unserer Kunden bereits Maßnahmen ergriffen, um die Auswirkungen abzumildern. Wir sehen aktuell eine hohe Bereitschaft bei den Unternehmen, sich mit alternativen Energien zu beschäftigen. Neben dem ursprünglichen Treiber Nachhaltigkeit kommen nun noch die Versorgungssicherheit und der Preis hinzu, die für eine Umstellung sprechen. Das kann den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft zusätzlich beschleunigen.
3/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.