In der Pandemie haben viele Händler ihren Online-Handel ausgeweitet – und kämpfen gegen die Flut an Retouren. Rücksendegebühren könnten helfen, doch davor schrecken die meisten Händler zurück. Wie der Online-Handel versucht, Kosten und Umweltbelastung der Retouren zu senken.
Mehr Online-Handel bedeutet bislang auch mehr Retouren. Zwar ist die Retourenquote von 17,8 Prozent (2019) auf 15,9 Prozent (2020) gesunken. Doch weil das Online-Handelsvolumen schneller wächst, als die Retourenquote sinkt, erreichte die Zahl der zurückgeschickten Pakete 2020 mit 315 Millionen Stück einen neuen Rekordwert. Darin traten 490 Millionen Artikel den Weg zum Absender an, vor allem Bekleidung. Deutschland war 2019 Rekordhalter in Europa bei den Rücksendern: 53 Prozent der Deutschen gaben laut Statista an, in den zurückliegenden zwölf Monaten Ware zurückgesandt zu haben.
Die Rücksendelust ist eine finanzielle und ökologische Last. Den Online-Händler kostet eine Retoure etwa 16 Euro für Transport und Bearbeitung. Dabei sind die Wertminderungen der Ware, die durch Aus- und Umpacken beschädigt werden kann, nicht mit eingerechnet. Da aber viele Versandhändler nur auf Neuware ausgerichtet sind, fehlen ihnen die Prozesse und attraktive Absatzkanäle für Gebraucht- und B-Ware. Darum wird manches noch funktionsfähige Produkt einfach entsorgt; der Warenwert lohnt das Handling, eine mögliche Reparatur oder den Verkauf über andere Kanäle nicht.
16 EUR
kostet eine Retoure den Online-Händler für Transport und Bearbeitung.
Medien hatten schon vor Jahren aufgedeckt, dass mancher Online-Händler bereits seine Logistiker anweist, bestimmte Retouren direkt selbst zu entsorgen. Die Umweltbelastung durch Retouren kann nur geschätzt werden: Neben entsorgter Neuware sind es vor allem Umweltschäden durch Verpackungen und Transport. Allein der Transport der rund 800.000 retournierten Pakete dürfte für täglich 400 Tonnen CO2-Ausstoß sorgen. Dringend Zeit, etwas gegen die Retourenflut zu unternehmen. Doch vor allem die Online-Handelsriesen nehmen lieber diese Belastungen in Kauf, anstatt den Kunden zu belasten.
Galt bis 2014 noch, dass für Retouren mit einem Wert über 40 Euro der Händler die Kosten zu übernehmen habe, ist dies nun jedem Händler freigestellt. Allerdings nutzen diese Möglichkeit fast nur kleinere Händler. 2019 gaben bei einer Befragung der Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Universität Bamberg 81 der Online-Händler an, dass sie keine Rücksendegebühren erheben – und das auch nicht für die Zukunft planen. Die rund 15 Prozent der Befragten, die Gebühren erheben, berechneten im Durchschnitt 3,67 Euro pro Rücksendung.
Dabei sind es vor allem die kleinsten Händler, die solche Gebühren erheben. Zugleich hält aber vor allem der Wettbewerbsdruck kleine und mittlere Händler davon ab, Kunden bei Nichtgefallen zur Kasse zu bitten. Schließlich haben andere Untersuchungen gezeigt, dass sich mehr als die Hälfte aller Online-Kunden vor der Bestellung die Rückgaberegeln eines Händlers ansieht. Bei einer freiwilligen Rücksendegebühr in Höhe von 2,95 Euro je Paket fürchten die befragten Händler einen deutlichen Umsatzrückgang – im Mittel von mehr als 16 Prozent. Gerade einmal 6 Prozent rechnen mit einer Verbesserung ihres Ergebnisses. Bei einer für alle Online-Händler verpflichtenden Rücksendegebühr erwarten etwa 42 Prozent keine spürbaren Auswirkungen auf ihr Unternehmensergebnis.
Dabei sieht die Realität deutlich besser aus: Der Umsatz der Unternehmen, die eine Gebühr eingeführt haben, ging lediglich um 1,4 Prozent zurück, ein Drittel sah eine Verbesserung des Unternehmensergebnisses. Bei keinem hatte die Einführung negative Folgen. Allerdings, merken die Studienautoren an, ist die empirische Basis dieser Aussagen angesichts der geringen Fallzahl nicht sehr belastbar. Zugleich kennen 40 Prozent der Händler nicht einmal ihre Kosten für Retouren, hat eine Untersuchung von ibi Research der Universität Regensburg ergeben. Ein Drittel der befragten Online-Händler schätzt zugleich aber, dass 10 Prozent weniger Retouren ihren Gewinn um bis zu 5 Prozent steigern würden.
Die Forscher an der Uni Bamberg um Björn Asdecker haben errechnet, dass mit einer für alle verbindlichen Rücksendegebühr die Retourenquote um bis zu 16,2 Prozent gesenkt werden könnte. Das wären 410 statt 490 Millionen zurückgeschickte Artikel im Jahr.
Eine flächendeckende Einführung von Gebühren ist aber weiterhin nicht absehbar. Asdecker und sein Team regen noch weitere Untersuchungen an – beispielsweise, bei welcher Rücksendegebührenhöhe die niedrigere Retourenquote und der Umsatzverlust in einem optimalen Verhältnis stünden. Außerdem wären noch etliche rechtliche Hürden aus dem Weg zu räumen, damit eine Regelung EU-verbraucherrechtskonform wäre. Interessant ist, dass andere finanzielle Optionen wie Rabatte für Kunden ohne Retouren oder andere positive Anreize, das Retourenaufkommen gering zu halten, wenig diskutiert werden.
Dabei hatten schon 2016 das Institut für Handelsforschung Köln und AZ Direct Modekunden befragt, welche Anreize sie von Retouren abhalten würden. Umweltschäden zu vermeiden war dabei nur für relativ wenige Kunden ein wichtiger Anreiz; Rabatte auf den Kaufpreis hingegen rangierten noch vor Rücksendegebühren. Auch Gutscheine und Gutschriften für spätere Käufe wären attraktiv – und würden das Risiko, dass Kunden zu Konkurrenten ohne Rücksendegebühren abwandern, vermeiden.
Amazon hatte einst mit seinem Prime-Wardrobe-Angebot „Erst anprobieren, dann zahlen“ in den USA eine Rabattstaffel eingeführt, um die Zahl der zurückgeschickten Artikel zu reduzieren: 10 Prozent Rabatt bekam, wer mindestens drei Teile auch wirklich kaufte. Und 20 Prozent Rabatt gab es bei fünf gekauften Artikeln. Weil sich Kunden aber bis zu 15 Artikel auf einmal unverbindlich zusenden lassen konnten, verringerte das die Anzahl der retournierten Paketsendungen wohl kaum. Inzwischen ist das Angebot auch in Deutschland angekommen und – wie mittlerweile in den USA auch – auf maximal sechs Kleidungsstücke je Sendung begrenzt. Ohne Rabattregelung.
Weil gerade im Modebereich die Retourenquote schnell 50 Prozent aller Bestellungen überschreitet, versuchen Händler mit umfassenden Informationen Fehlbestellungen gegenzusteuern. Hinweise wie „fällt größer aus als üblich“ oder „Wir empfehlen, eine Größe kleiner als üblich zu wählen“ sollen helfen, dass Kunden nicht erst zu Hause merken, dass ein Produkt nicht passt. Solange aber Rücksendungen nichts kosten und viele Händler auch den Umsatz erst spät berechnen, bleibt der Anreiz, sich gleich mehrere Größen zur Auswahl schicken zu lassen. Laut einer PwC-Studie bestellt mindestens jeder Fünfte Ware, die er sicher zurücksenden wird.
Die Zahl der Retouren wird also so schnell nicht sinken, doch zumindest sollen die Belastungen der zurückgeschickten Waren reduziert werden. „Retourenregister“ nennt sich eine Initiative von Anbietern, die für eine bessere „Nachnutzung“ von Retouren sorgen will. Dazu gibt es ein Siegel, das allerdings erst rund ein Dutzend Unternehmen – darunter Vaude und Rose Bikes – nutzen. Unternehmen wie der Möbelhändler best-dealz-24.de, der auch Initiator des Retourenregisters ist, sehen bislang wenig genutzte Geschäftsmodelle im Bereich Retouren durch die Aufarbeitung kleiner Schäden und den Weiterverkauf mit Preisnachlass.
„Die Kreislaufwirtschaft als Gegenstück zur Wegwerfwirtschaft wird immer wichtiger für Unternehmen, vor allem aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten.“
Lavinia Bauerochse, Head of ESG Corporate Bank, Deutsche Bank
Gerade kleine und mittelgroße Händler haben nicht die Kapazitäten, den Zustand der zurückerhaltenen Waren und ihren Restwert zu überprüfen. Bis zu 100 Inspektionsarten müsste ein Vollsortimenter anbieten – vom Pixeltest für den Fernseher bis zur Inspektion auf Flecken in der Kleidung. Spezialisierte Unternehmen könnten anbieten, diese Untersuchung zu übernehmen, und über einschlägige Datenbanken einen realistischen Marktwert nennen. Anschließend könnten sie für den Weiterverkauf der Ware sorgen. Das würde nicht die Zahl der Retouren reduzieren, aber immerhin vermeiden, dass unnötig viel Neuware einfach entsorgt wird.
In Zukunft dürfte die Verwertung der Retouren für Unternehmen immer relevanter werden. Je mehr Retouren vernichtet werden, desto höher ist die Abfallquote eines Unternehmens. Lavinia Bauerochse, Global Head of ESG Corporate Bank bei der Deutschen Bank erläutert: „Nicht nur Kunden, auch Kapitalgeber und Regulatoren sowie Mitarbeiter erwarten einen ressourcenschonenden Umgang von Unternehmen, sonst wenden sie sich eventuell ab. Dabei wird die Kreislaufwirtschaft als Gegenstück zur Wegwerfwirtschaft immer wichtiger für Unternehmen, vor allem aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten.“ Wiederverwendung, Spende, ein Weiterverkauf als gebrauchte Ware oder die Überlassung gegen einen deutlichen Preisnachlass sind Möglichkeiten, Abfall zu reduzieren. Auch hier experimentiert Amazon bereits seit einiger Zeit, allerdings werden diese Angebote selten formalisiert: Wer mit Ware nicht zufrieden ist, erhält ein Rabattangebot. Was dennoch zurückgesandt wird, wird entweder als Bulkware palettenweise günstig abgegeben – oder kann im eigenen „Renewed“-Bereich von Amazon reduziert gekauft werden. Allerdings macht dies offenkundig erst einen Bruchteil der (zurückgesandten) Ware aus.
3/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.