Sechs Marken unter einem Dach: Durch geschickte Zukäufe hat sich noventic auf dem Markt für Gebäudesteuerung breit positioniert. Die Hamburger wollen begeistern mit klimaintelligenten Lösungen
Text: Stefan Merx
Mit 21 Unternehmen in 30 Ländern weltweit vertreten
Hamburg-Hammerbrook, ein unscheinbares Backsteinhaus am Heidenkampsweg. Hier, in Hausnummer 40, residiert ein smarter Riese, den noch kaum jemand kennt. Sein Name: noventic. Seine Mission: Energieeffizienz. Sein Hobby: Einkaufen, bevorzugt Firmen mit Spezialkompetenz.
CEO Jan-Christoph Maiwaldt und seine Finanzchefin Doris Johnert haben das ambitionierte Unternehmen nach ihren Vorstellungen großgezogen – und das in erstaunlichem Tempo. Sechs erfolgreiche Marken sind in der neuen noventic group vereint, sie ergänzen sich zu einer stringenten Wertschöpfungskette und sehen sich als Vorreiter für Lösungen zur klimaintelligenten Gebäudesteuerung. Nicht einmal zwei Jahre hat es gebraucht, um die Gruppe auch über Zukäufe in diese Position zu katapultieren. Doch von selbst lief nichts: Entschlossenheit, strategisches Geschick und gutes Gefühl fürs Timing waren unabdingbar im komplexen Firmenpuzzle. Insgesamt ist die noventic group heute mit 21 Unternehmen in 30 Ländern weltweit vertreten.
Im Oktober 2016 existierte das Mosaik nur als Idee in wenigen Köpfen. Im Heidenkampsweg 40 saßen die Schwesterfirmen KALO und URBANA. Die eine erledigte die jährliche Verbrauchskostenabrechnung von Wohnungen, die andere stellte in Kellern dezentrale Kraftwerke auf. Beides stabiles B2B-Geschäft, das den Hamburger Gesellschaftern seit Jahrzehnten gute Gewinne einbrachte. Doch Geschäftsführer Maiwaldt war damit nicht zufrieden: „Wir können viel mehr als messen und abrechnen. Wir müssen der Wohnungswirtschaft die klimaintelligente Steuerung von Immobilien ermöglichen.“
Alle Fäden laufen bei dem gebürtigen Lübecker zusammen. Der Volkswirt hat bei Douglas, Fielmann und Karstadt auf Vorstandsebene für Konsumentenmarken gewirkt, seit 2011 kämpft er für Verbrauchstransparenz und Energieeinsparung im Gebäudesektor, die auf klugem Nutzen von Gebäudedaten beruht. „Wir tun hier das Richtige: Klimaschutz in Kombination mit Wirtschaftlichkeit ist eine Sache, die uns wahnsinnig begeistert“, sagt er. „Dafür hat es sich für mich gelohnt, die Branche zu wechseln.“
Das Mehrmarkenmodell spiegelt sich am Standort: Zum Flur hin haben im Heidenkampsweg die Ursprungsfirmen ihre eigene Präsenz, doch wer eintritt, landet in ein und demselben Foyer. Ein Sinnbild: eigenständige Marken, aber der gemeinsame zentrale Gedanke der klimaintelligenten Gebäudesteuerung im Hintergrund. Diese Struktur trägt noch heute: Am Markt agiert jeder der sechs Spezialisten eigenständig, die noventic als Holding wirkt als vernetzende Instanz.
Wie aber kommt ein profitables, konservatives Unternehmen dazu, plötzlich drei Gänge hochzuschalten und ein Tempo wie ein Start-up an den Tag zu legen? Theoretisch hätte Maiwaldt seit 2017 vier weitere Türöffnungen in den Beton fräsen lassen können – so schnell hat er die Gruppe erweitert.
Wer die rasante noventic-Story begreifen will, spricht am besten mit Doris Johnert. Denn sie arbeitet seit 27 Jahren im Unternehmen, von der einfachen Buchhalterin der heutigen Tochter KALO stieg sie auf zur Finanzchefin der Managementholding. Johnert kennt die Unternehmenskultur wie kaum eine Zweite. „Ich dachte anfangs, ein solch ambitionierter Umbau – das klappt sowieso nicht“, sagt die Hanseatin freimütig.
Die Wurzeln der noventic reichen zurück bis 1953, dem Gründungsjahr der Firma KALORIMETA (kurz: KALO). Damals starteten die Hamburger mit der Montage sogenannter Heizkostenverteiler: Jahrzehntelang waren diese versiegelten Röhrchen mit einer Verdunstungsflüssigkeit der Standard. Ein Ableser kam vorbei, seine Notizen zum Ampullenstand ließen rückschließen auf den Jahresverbrauch. Nach diesem Prinzip betrieben wenige Messdienstleister wie KALO ein feines, proprietäres Geschäft, das üblicherweise abgesichert war durch langfristige Verträge mit Immobilienverwaltern. „Da war es schwer, der Konkurrenz reinzugrätschen“, bekennt Johnert. Heute aber werden die Röhrchen Zug um Zug ersetzt. Spätestens mit der Umstellung auf digital auslesbare Messgeräte werden auch für Dienstleister die Karten neu gemischt. Wer mit der Ampullen-Denke in die Zukunft will, wird scheitern. Maiwaldt und Johnert haben das früh erkannt und die Digitalisierung als Chance begriffen. Maiwaldts Vision ist ein Smart Building, das beim Sparen hilft: „Wenn man die Messdaten zurückspielt und auf dieser Basis neue Anwendungen plant, öffnet sich eine riesige Nutzenwelt.“
Ein erster Appetithappen fand sich im dänischen Silkeborg. „Das noch junge Unternehmen KeepFocus hatte eine innovative Plattform programmiert, die ausgezeichnete Fähigkeiten für diese neue Ausrichtung bot“, sagt Johnert. Eine Big-Data-Drehscheibe, die über offene Schnittstellen herstellerneutral Messstellen und Sensoren anbinden kann. Die Gründer von KeepFocus kamen aus dem klassischen Energieberatungsgeschäft – und hatten Internationalisierungspläne. So konnten sich die Hamburger ausrechnen, dass die Dänen zügig zu Konkurrenten herangewachsen wären. „KeepFocus wurde für uns zum Target“, sagt Johnert in bestem M&A-Sprech, den sie zwischendurch selbst belächelt.
Der Erwerb gelang zügig. Im Zuge des Kaufs stießen Maiwaldt und Johnert auch eine Organisationsreform an: „Unsere neue Holding sollte GmbH-Recht im Bauch haben und einen einfacheren Gesellschaftervertrag“, sagt Johnert. KALO und URBANA allerdings waren beide noch sperrig als KG aufgestellt. Die erste solide, die zweite inzwischen eher schwankend im Ertrag.
Es drückten Risiken – buchstäblich im Keller. Mehr als 1000 dezentrale, aber konventionelle Kessel und Blockheizkraftwerke hatte die URBANA verbaut und betrieb sie auch. Langfristig gebundenes Anlagevermögen – und das in einem volatilen gesetzlichen Umfeld. „2016 fiel die Entscheidung: Aus diesem Risiko wollen wir raus, weg von Heizanlagen“, sagt Maiwaldt. Der neue Brennstoff würden ja Daten sein.
Was folgte, war ein regelrechter Transaktions-Stunt: „Wir hatten mitbekommen, dass der Erfurter Messgeräteproduzent QUNDIS zum Verkauf stehen könnte“, sagt Maiwaldt. Schnell stand fest: URBANA sollte aus dem Portfolio – und die Erfurter Firma QUNDIS rein. Die Erlöse des Verkaufs sollten unmittelbar helfen, die nächste Übernahme zu finanzieren. „Das waren zwei sehr große Transaktionen in nicht einmal zwei Monaten“, sagt Johnert. „Im März 2017 führten wir das erste Bankengespräch, am 15. Mai war das Closing.“ Der Koordinierungsaufwand war immens, auch unter steuerlichen Aspekten hochkomplex. Am Ende konnte man die Doppeltransaktion mithilfe eines dreiköpfigen Bankenkonsortiums stemmen. „Die Deutsche Bank spielte hierbei eine führende Rolle“, so Johnert.
Hochinteressant ist die Businesslogik hinter dem Doppelschlag: Die URBANA passte inzwischen viel besser zum Magdeburger Energiedienstleister GETEC. Man wurde sich verkaufseinig. Die QUNDIS passte als Hersteller von Heizkostenverteilern perfekt zur neuen noventic-Ausrichtung. Der Haken: QUNDIS lag bereits zuvor in Private-Equity-Hand, war nun attraktiv gemacht worden für den Weiterverkauf, die Story stimmte. Auch andere hatten die Perle erkannt. „Wir buhlten vor allem gegen Private-Equity-Firmen, die berühmten Jungs in den schnieken Anzügen“, sagt Johnert. Alle zogen an einem Strang: Das Management entwarf eine überzeugende Angebotsstrategie, der Gesellschafterkreis nickte, die Banken stellten Brückenfinanzierungen zur Verfügung (weil die Zeit für eine sofortige Endfinanzierung zu knapp war) – und der Deal klappte.
Heute ist noventic ein Marken-Sextett, das allmählich die Fühler auch international ausstreckt. Italien und Frankreich sind als Zukunftsmärkte identifiziert, weitere Zukäufe seien denkbar. Der Gruppenumsatz von gut 240 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2016/17 werde sich binnen fünf Jahren fast verdoppeln – so der Plan. Freilich geht Maiwaldt gezielt vor, sein Motto: „Ergebniswachstum geht vor Umsatzwachstum.“ Mit KALO hat man ein erfolgreiches Unternehmen im Portfolio, das es ermöglicht, in das datenbasierte Neugeschäft zu investieren. „Die Balance wollen wir sauber aussteuern“, sagt Maiwaldt.
Hoher Bedarf am Smart Building besteht. Dafür sorgen schon die ehrgeizigen Klimaziele. „Man begeistert Leute aber nicht für Klimaschutz, indem man die Regulierung verschärft, sondern indem man Nutzen stiftet und ihnen beim Sparen hilft“, sagt Maiwaldt. Wäre es nicht gut, über Wasserverluste informiert zu werden, bevor sich die kleine Leckage zu einem riesigen Schaden auswächst? Wäre es nicht gut, bei allein lebenden älteren Personen einen Alarm zu bekommen, wenn sich Abweichungen von den statistischen Gewohnheiten zeigen? Etwa, wenn ungewöhnlich lange die Toilettenspülung nicht mehr betätigt wurde? Und könnte man die Fähigkeiten von Rauchmeldern nicht nutzen, um auch über die Luftqualität informiert zu werden? Jan-Christoph Maiwaldt, so viel ist sicher, hat noch eine Menge vor.
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Daten werden zum Brennstoff der Zukunft
results. Das Unternehmer-Magazin der Deutschen Bank 3-2018