Mirco Wiegert hat seinem Unternehmen fritz-kola eine Frischekur verpasst. 15 Jahre nach der Gründung wollen die Hamburger in Europa wachsen, aber unangepasst bleiben
Text: Thomas Mersch
Dieser Businessplan hätte jeden Investor in die Flucht geschlagen. Drei Punkte haben die beiden Hamburger Lorenz Hampl und Mirco Wiegert beim Pizzaessen auf einem DIN-A4-Zettel notiert. Dass sie eine Kola auf den Markt bringen wollen. Dass sie Kneipen und Cafés beliefern wollen. Und dass sie stets mehr Geld einnehmen als ausgeben wollen. Das Blatt Papier heften die beiden Mittzwanziger in einem Ordner ab. Um Kapital zu beschaffen, lösen sie ihre Bausparverträge auf. Rund 7000 Euro kommen zusammen. Ein Betrag, über den viele Gründer müde lächeln würden. Ihren Plan wollen die beiden ohne Geldgeber auf eigene Faust umsetzen.
Von ihrem Studentenwohnheim im Stadtteil Othmarschen aus starten Hampl und Wiegert im Jahr 2003 den Verkauf ihres Getränks. Der Name: „fritz-kola“. Weniger süß, mehr Koffein – mit diesem Rezept wollen sie die globalen Marktführer herausfordern. „Den Begriff Cash-burn Rate haben wir erst viel später gelernt“, sagt Wiegert. Für 170 Kästen reicht das Startkapital. Müssen sich die Chefs bei Coca-Cola und Pepsi ernsthaft Sorgen wegen des neuen Wettbewerbers machen?
15 Jahre später, eine Büroetage am Rande von Hamburgs Bahnhofsviertel St. Georg. Der Umzug in die neuen Räume ist fast bewältigt. Hinter der schwarz lackierten Holztheke am Empfang sitzt Johnny, schwer tätowiert, und begrüßt Besucher freundlich per Du. „Frisch gestrichen, Diggi“, steht auf einem Schild an der Wand. Vor dem Besuchersofa steht ein schwarzer Tisch mit fritz-kola-Logo. Mirco Wiegert zeigt auf ihn, als er aus seinem Büro kommt. „Das ist der aus unserer WG.“ Der Chef trägt einen schwarzen Kapuzenpulli „Koksen ist Achtziger“, steht darauf, ein Spruch seiner Firma. Auf rund 200 Mitarbeiter ist die ehemalige Studenten-GbR inzwischen angewachsen – zu einem Mittelständler, der eine feste Größe auf dem Heimatmarkt ist und international expandiert. Und sich dabei noch immer so konsequent vom Establishment abgrenzt wie in den Gründertagen.
Unangepasst – das sei der Leitspruch der Firma, erläutert Wiegert. Am Unternehmertum schätze er das Spielerische. fritz lässt er mit schwarzem Humor in Szene setzen: „Hauptsache wach“ heißt es neben der Zeichnung eines Surfers, dem ein Hai den halben Oberkörper abgebissen hat. Der in der Reklame beschworene „Wachmeister“ ist Wiegert im Zweifel selbst.
15 Jahre Unternehmer – und ein ungewöhnlicher dazu. Mirco Wiegert startete mit Partner Lorenz Hampl und 7.000 Euro Kapital
Der neue Stil: mehr Analyse, weniger Intuition
Zum G-20-Gipfel im Sommer 2017 in der Heimatstadt Hamburg sorgte fritz mit Plakaten für Aufsehen, auf denen die eingedösten Präsidenten Putin, Trump und Erdog˘an zu sehen sind. „Mensch, wach auf“, heißt es dazu. In einem Text auf der fritz-Website kritisierte Wiegert die Vertreibung von Obdachlosen während der Gipfelvorbereitung – und startete eine Spendenaktion. „Der G 20 ist über uns gekommen. Wir konnten da nicht raus“, sagt er. Meist werde er als „eher links“ wahrgenommen – in einer Diskussion im Szenekino Abaton sei er aber „die bürgerliche Stimme“ gewesen.
Das Gesicht von fritz ist Wiegert selbst – die Porträts von ihm und seinem Gründungskompagnon zieren jedes Etikett der Marke: von der Kola bis zur Limo und Schorle, die längst dazugekommen sind. Das Branding ist auch nach Hampls Ausstieg Ende 2016 so geblieben. Genaues über die Gründe für die Trennung verrät Wiegert nicht. „Wir kannten uns 20 Jahre, waren lange sehr eng befreundet“, sagt er nur. Schon in der Jugend waren die beiden als Pfadfinder gemeinsam unterwegs, bevor sie ihre Expedition in die Getränkewelt starteten. Während Hampl auf Weltreise ging, machte sich Wiegert daran, das inzwischen als fritz-kulturgüter GmbH firmierende Unternehmen auf Zukunftskurs zu bringen.
„Wir sind immer sehr intuitiv vorgegangen“, beschreibt Wiegert den Managementstil der gemeinsamen Jahre. Nun soll es analytischer werden. Um Hampl auszuzahlen, holt Wiegert Investoren ins Unternehmen – ein Drittel der Anteile wird verkauft. Doch es geht um mehr als nur um liquide Mittel.
Mit Florian Rehm aus der Unternehmerfamilie Mast, die unter anderem Jägermeister produziert, und Dirk Lütvogt, Geschäftsführer des Mineralwasseranbieters Auburg Quelle, sind zwei branchenerfahrene Manager als Gesellschafter eingestiegen. „Sie haben ein hohes Verständnis für Marken“, sagt Wiegert. „Und bei uns steht der Prozess der Markennachschärfung an.“ Man habe im Unternehmen jüngst „jeden Stein umgedreht“. Seit einem knappen Jahr dreht Winfried Rübesam als Geschäftsführer mit, der früher beim Getränkeproduzenten Brown-Forman unter anderem den Whiskey Jack Daniel’s vermarktete.
Ein Ergebnis: Die Werbung übernimmt künftig ausschließlich die Agentur Rocket & Wink. „Willkommen im Wach“, heißt der Slogan – auf den Plakaten entfliehen Geschäftsleute nach einem Schluck fritz-kola auf einer Einhorn-Katze reitend der Realität. Was ist wichtiger für den Erfolg – das Image oder der Geschmack? „Das kann man nicht trennen“, sagt Wiegert. „Aber man muss Erwartungen auch bedienen.“
In Sachen Onlinewerbung gebe es eine Wertedebatte mit den Mitarbeitern. „Nicht alles, was technisch machbar ist, ist gut. Man muss sich selbst limitieren, gerade in sozialen Netzwerken wird die Ansprache schnell übergriffig.“ Wiegert hat es erlebt, als sein Unternehmen wegen sexistischer Werbung am Pranger stand. „Unser Vorteil: Wir sind ein Laden, der emotionalisiert. Unser Nachteil: Wir sind ein Laden, der emotionalisiert. Man muss immer mal wieder einen Querschläger einstecken“, sagt er.
Das nächste Ziel: die Internationalisierung. Angaben zu Märkten oder Mengen macht er nicht. Es habe Methode, sich möglichst bedeckt zu halten. „Auch die Berichte für den Bundesanzeiger schicken wir immer auf den letzten Drücker.“ Für das Geschäftsjahr 2016 ist dort ein Rohertrag von gut 30 Millionen Euro ausgewiesen – ein Plus von rund 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Seit Ende 2015 führt Wiegert eine Zwei-Marken-Strategie mit dem wiederbelebten Erfrischungsgetränk Anjola, das es in mehreren Geschmacksrichtungen gibt – darunter auch eine Kola. Noch sei es ein „kleines Pflänzchen“, sagt er. Die großen Namen des globalen Getränkegeschäfts dürften genau hinschauen. Das tun sie sowieso, sagt Wiegert. Er erkenne es auch daran, wie sie in Hamburg auftreten: „Sie wollen so sein wie wir.“ Aber fritz eben nicht so wie sie.
In einem Punkt aber haben Wiegert und Hampl auch Coca-Cola imitiert. Ihr Rezept liegt in einem Schrank, sicher und geheim verschlossen. Mehr symbolisch als sinnvoll ist die Geheimniskrämerei, das ist Wiegert klar. „Man kann im Labor sowieso alles nachbauen.“ Es gebe also keinen Grund, das Rezept nicht vorzuzeigen. Möglich ist das allerdings gerade nicht. „Der Schrank“, sagt Wiegert und blickt sich suchend im gerade bezogenen Büro um: „Wo ist der eigentlich?“
„Alle wollen sie so sein wie wir“
results. Das Unternehmer-Magazin der Deutschen Bank 2-2018