Wie können Forderungen, Lagerbestände und spätere Zahlungen helfen, die Finanzierungsstruktur zu verbessern? Christina Gnad, Global Head Working Capital bei der Deutschen Bank, kennt die komplette Palette der Möglichkeiten.
Frau Gnad, Sie verantworten bei der Bank die Working-Capital-Finanzierungen. Ist das mehr als eine Nische?
Absolut. Zwar sind die meisten Unternehmen vor allem über bilaterale Kredite oder einen syndizierten Kredit mittel- bis langfristig finanziert, und das wird auch so bleiben. Aber die Finanzierer sind vorsichtiger und wählerischer als früher. Banken müssen tendenziell immer mehr Eigenkapital für Finanzierungen unterlegen, dadurch können insbesondere Langfristkredite teurer werden. Und auch an einer anderen Stelle lauern Herausforderungen: Der Liquiditätszufluss aus dem operativen Geschäft ist bei vielen Unternehmen erratischer und schwerer prognostizierbar geworden. Belastbare Finanzierungen zu strukturieren ist dadurch schwieriger geworden – und Working-Capital-Finanzierungen können oft ein wertvoller Baustein sein.
Wissen die Unternehmen das?
Unsere Kunden kommen häufig mit sehr konkreten Vorstellungen zu uns, welche Produkte sie benötigen, und wir können ihnen mit Working-Capital-Finanzierungen etwas bieten, woran sie häufig nicht denken. Allerdings ist es immer sinnvoll, mit den Kunden zunächst einmal über ihre Ziele zu sprechen: Was soll mit der Finanzierung erreicht werden? Welche kurzfristigen und welche langfristigen Vorhaben sollen finanziert werden? Stehen perspektivisch Akquisitionen oder der Umbau von Geschäftsbereichen an? Wächst das Unternehmen stark oder läuft es in finanzielle Engpässe hinein? Die Ziele müssen einmal klar definiert werden – dann strukturieren wir gern eine maßgeschneiderte Finanzierung.
Wann bietet Ihr Instrumentenkasten sinnvolle Ergänzungen?
Working-Capital-Finanzierungen sind hervorragend geeignet, sowohl stark wachsende Unternehmen als auch Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten mit Liquidität zu unterstützen. Das Wachstum kann finanziert werden, weil sich sowohl der Bestand an Forderungen als auch an Waren in der Regel mit steigendem Umsatz erhöhen – und auf diese beiden Assets beziehen sich unsere Finanzierungslösungen. In der Krise dagegen können wir finanzieren, weil wir beim Ankauf von Forderungen nicht in erster Linie auf die wirtschaftliche Situation des Forderungsverkäufers schauen, sondern auf die Bonität des Kunden, gegen den sich die Forderung richtet.
Lassen Sie uns einmal die verschiedenen Spielarten durchgehen. Der Forderungsverkauf ist ja nichts anderes als das klassische Factoring. Das hatte lange ein Schmuddel-Image: Wer seine Forderungen verkaufen muss, um den muss es schlecht bestellt sein. Ist das vorbei?
Definitiv. Factoring hat sich zu einem integralen Bestandteil der Unternehmensfinanzierung entwickelt. Auch viele bonitätsstarke Unternehmen nutzen dieses Instrument: 2023 wurden laut Deutschem Factoring-Verband Forderungen im Wert von 384,4 Milliarden Euro verkauft. Das entspricht 9,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – da kann man wohl kaum mehr von einer Nische sprechen. Da allerdings ein großer Teil über das sogenannte stille Factoring abgewickelt wird, bei dem der Forderungsverkauf nicht offengelegt wird, ist die Wahrnehmung eine andere.
„Wenn ein Mittelständler Indien als Absatzmarkt erschließen möchte, steht er vor einer großen Herausforderung: Deutsche Unternehmen können die Kundenrisiken, das Zahlungsverhalten und das Währungsrisiko schwer abschätzen.“
Geht es den Unternehmen beim Factoring immer um die Liquidität?
Das steht in der Regel im Vordergrund. Doch auch der Schutz vor dem Ausfall der Forderung kann ein veritabler Mehrwert sein. Wenn ein Mittelständler zum Beispiel Indien als Absatzmarkt erschließen möchte, steht er vor einer großen Herausforderung: Deutsche Unternehmen können die Kundenrisiken, das Zahlungsverhalten und das Währungsrisiko schwer abschätzen – hier bietet sich der Forderungsverkauf für eine Kombination aus Sicherheit und Liquidität an. Zusätzlich zum Schutz vor dem Ausfall der Forderung hat Factoring einen bilanzentlastenden Effekt, da sich mit dem Verkauf der Forderungen die Bilanz verkürzt.
Lassen Sie uns mal auf die andere Seite der Bilanz schauen, nämlich auf die Verbindlichkeiten. Was lässt sich über Payables Finance erreichen?
Hier geht es um die Verlängerung der Zahlungsziele und damit um eine enorme Einsparung an Working Capital. Konkret kann diese Verlängerung über eine dynamische Rabattgewährung erzielt werden, die das Unternehmen mit seinen Zulieferern aushandelt. Ein anderer Ansatz, der auch mit der Rabattgewährung kombiniert werden kann, ist ein Programm für Lieferkettenfinanzierung. Das wird mit einer Bank umgesetzt, die den Lieferanten bezahlt und das Geld erst zu einem späteren Zeitpunkt vom Kunden erhält.
Das klingt vernünftig – warum sehen wir trotzdem relativ wenige Projekte bei den Unternehmen?
Viele scheuen den Aufwand und tragen Sorge, dass die Verbindlichkeiten am Ende in der Bilanz wieder als Schulden erscheinen. Wenn wir unseren Kunden aber zum Beispiel zeigen können, dass ihr Wettbewerb durchweg 60 Tage später bezahlt, liegen die potenziellen Einsparungen klar auf dem Tisch. Doch die Umsetzung ist nicht trivial: Damit Payables Finance erfolgreich wird, muss ein überzeugter Finanzchef den notwendigen Impuls in alle involvierten Abteilungen senden, damit diese das Projekt gemeinsam anpacken.
Neben den Forderungen sind auch die Waren eines Unternehmens werthaltig. Sie werden dennoch eher selten zur Finanzierung herangezogen. Warum?
Die Mitarbeiter in der Finanzabteilung sehen oft vor allem die Zinskosten und den Aufwand. Allerdings sind die Vorteile von Inventory Finance enorm: Selbst hochwertige Warenlager berücksichtigen Banken nämlich nicht oder nur mit enormen Abschlägen als Sicherheit. Inventory-Finance-Lösungen ermöglichen dagegen eine umfangreiche Beleihung der Warenlager. Und wenn Dritte die Waren sogar ankaufen und bedarfsgerecht zur Verfügung stellen, gelingt sogar die bilanzielle Auslagerung. Das spart nicht nur Liquidität, sondern verkürzt auch die Bilanz und verbessert damit die Eigenkapitalrendite. Aus Sicht des Finanzchefs dürfte sich der Aufwand also oft lohnen.
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„Selbst hochwertige Warenlager berücksichtigen Banken nicht oder nur mit enormen Abschlägen als Sicherheit. Inventory-Finance-Lösungen ermöglichen dagegen eine umfangreiche Beleihung.“
Allerdings agieren Unternehmen ja nicht im luftleeren Raum. sie haben bereits eine bestehende Finanzierungsstruktur. Wie lassen sich Working-Capital-Elemente darin integrieren?
Im Idealfall werden Asset-basierte Finanzierungen bei der Strukturierung gleich mitgedacht. Oft haben Unternehmen aber bereits Konsortialkredite mit einer umfassenden Besicherung abgeschlossen. In diesen Fällen ist eine anstehende Refinanzierung eine gute Gelegenheit, die Struktur zu überarbeiten. Banken berücksichtigten Umlaufvermögen oder Forderungen ohnehin kaum – darum kann man in der Regel mit ihnen aushandeln, diese Posten auszuklammern.
Gilt das auch, wenn das Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten steckt und dringend zusätzliche Liquidität braucht? Die Banken müssten ja Sicherheiten freigeben, die sie in der Insolvenz gerne hätten …
Das ist in der Tat grundsätzlich ein Hindernis, gelingt aber dennoch oft. Banken und Kunde eint ja das gemeinsame Interesse, die Insolvenz zu vermeiden. Die Frage ist in dieser Situation doch vielmehr, wer denn überhaupt das dringend notwendige frische Geld zur Verfügung stellt. Hier zeigen Banken, die mit der Materie tief vertraut sind, eine große Bereitschaft nachzuschießen. Durch die hohe Sicherheit eignen sich Warenlager und Forderungen nämlich besonders gut für Fälle, in denen die Bonität eigentlich keine Finanzierung zulässt.
12/2024
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.