Gibt es die ideale Finanzierungsstruktur?

Unternehmen müssen in unvollkommenen Märkten Risiken austarieren. Die Frage nach der optimalen Kapitalstruktur entwickelt sich schnell zum Balanceakt zwischen drei Pfeilern: günstig, flexibel, sicher. Wie nähert man sich der idealen Finanzierung?

Wer in dem Dreiklang günstig, flexibel und sicher ein Ziel überbetont, wird kein Gleichgewicht in der Finanzierungsstruktur erreichen. oto: Scott Cupp/instagram.com/scottcuppart

Nachgefragt beim belesensten Professor unserer Zeit: „ChatGPT, wie sieht die optimale Kapitalstruktur aus?“ Es offenbart sich: Die KI ist nicht schlauer als Studierende. „Die optimale Kapitalstruktur eines Unternehmens ist die beste Kombination aus Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung, die den Marktwert eines Unternehmens maximiert und gleichzeitig die Kapitalkosten minimiert.“

Das ist gut zu wissen für die nächste BWL-Klausur, in der Praxis aber nicht sehr hilfreich. Unternehmen arbeiten in unvollkommenen Märkten, in denen sie mit unterschiedlichsten Risiken und Problemen konfrontiert sind: in den vergangenen Jahren mit der weltweiten Pandemie, unterbrochenen Lieferketten, dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, steigenden Energiepreisen, Inflation. Dazu kommen dauerhafte Herausforderungen wie Fachkräftemangel, Klimawandel und zunehmende geopolitische Unsicherheit.

„Welche Optionen gibt es am Markt für mein Unternehmen überhaupt?“

Johannes Schmittat
Houlihan Lokey

Unternehmen und ihre Geschäftssituation sind daher nie statisch – die Berechnungsgrundlage für eine optimale Kapitalstruktur verändert sich unentwegt und dynamisch, und zwar in eine unbekannte Richtung. Das erfordert individuelle Finanzierungslösungen, für die es kein Patentrezept gibt. Ist es dennoch realistisch, sich einer Struktur anzunähern, die eine Balance zwischen kurz- und langfristig, strategisch und opportunistisch hält?

Ja, das geht. Im ersten Schritt muss der Unternehmer oder sein CFO festlegen, welche Ziele die Firma verfolgt und wie die langfristige Strategie aussieht. Jedes Unternehmen hat andere Meilensteine, die klar definiert sein müssen. Dann ist es Zeit für eine ehrliche Prüfung, ob die gesetzten Ziele und die angedachte Strategie verfolgt werden können, ohne zu sehr ins Risiko zu gehen. „Passiv- und Aktivseite müssen zusammen betrachtet werden – zudem hilft es nicht, sich große Ziele zu stecken, wenn eine ausreichende Profitabilität nicht gegeben ist“, mahnt Steffen Rapp von der Deutschen Bank.

Realitätscheck der eigenen Ziele

Hier wird es oft schon schwierig. Plötzlich muss man die Theorie der optimalen Kapitalstruktur mit den Gegebenheiten der Praxis abgleichen – und einschätzen, inwieweit die eigenen Wünsche in der aktuellen Marktlage Träumereien bleiben müssen. Johannes Schmittat vom Finanzierungsberater Houlihan Lokey spricht von einem Realitätscheck und formuliert eine Frage, die der CFO beantworten muss: „Welche Optionen gibt es am Markt für mein Unternehmen überhaupt?“

Hinter dieser Frage stecken viele Überlegungen: Welche Risiken muss ich absichern, wie viel Eigenkapital steht zur Verfügung, und welcher Verschuldungsgrad ist der Situation des Unternehmens angemessen sowie mit der Risikoaffinität oder -aversion des Eigentümers vereinbar? Dazu kommt in Branchen mit hohem Transformationsbedarf oder bei Unternehmen mit einer Expansionsstrategie die Frage, wie viel Fremdkapital für die nächsten Schritte nötig und wie viel Verschuldung zu viel ist.

Quellen: Bundesbank, Deutsche Bank Research

Die Beantwortung dieser Fragen ist schwierig – mitunter schmerzhaft. Es braucht Unterstützung von den Kapitalgebern, beispielsweise der Hausbank, auch ein unabhängiger Berater kann sinnvolle Hilfe beim Abgleich der Strategie mit der Realität leisten. Rapp erläutert, worauf sein Haus Wert legt: „Neben einer soliden Einschätzung des Geschäftsmodells ist die Verschuldung im Verhältnis zum EBITDA ausschlaggebend.“ Natürlich könne die Hausbank für große Investitionen punktuell einen höheren Verschuldungsgrad akzeptieren, dieser dürfe die Struktur im Gesamten aber nicht gefährden: „Bei einer fremdfinanzierten Akquisition muss die Verschuldung nicht innerhalb von fünf Jahren auf null rückgeführt sein. Aber innerhalb von drei bis fünf Jahren wollen wir sehen, dass die verbleibende Verschuldung problemlos refinanzierbar ist.“

Vertrauen in den CFO ist gefragt

Der Abgleich großer Ziele und limitierter Möglichkeiten ist schwierig genug – aber mitnichten die einzige Herausforderung. Wer das Mögliche ausschöpft, jedoch nicht richtig strukturiert, nimmt Risiken in Kauf. Ein CFO hat genau das bei einem deutschen Mittelständler erlebt. Der ehemalige Banker wurde in die Firma geholt, um eine Kapitalstruktur zu verändern, die in der Marktlage große Risiken barg. Die Eigentümer hatten sich explizit einen anpackenden Manager mit frischem Blick gewünscht, der substanzielle Veränderungen vornehmen sollte.

So weit der Plan. Als es dann ernst wurde, erhielt der CFO eine andere Rückmeldung: „Es hat in den letzten 30 Jahren funktioniert – warum sollten wir jetzt etwas ändern?“ Plötzlich waren die Befindlichkeiten des lokalen Bankvertreters, mit dem der Unternehmer Golf spielte und der ihm seit Jahrzehnten den immer gleichen, traditionellen Kredit gewährte, wichtiger als die Frage nach dem Klumpenrisiko, das mit ebendiesem Kredit einherging. „Mehr als 80 Prozent der Verschuldung entfallen auf Kontokorrentlinien“, erläutert der CFO. „Das ist ein haarsträubendes Risiko. Und die Gläubiger sind ausschließlich Banken mit bilateralen Vereinbarungen, es gibt keinerlei Konsortialdarlehen oder Beimischung von zum Beispiel Schuldscheinen, Nordic Bonds oder Private Debt.“

„Neben einer soliden Einschätzung des Geschäftsmodells ist die Verschuldung im Verhältnis zum EBITDA ausschlaggebend.“

Steffen Rapp
Deutsche Bank

Der Manager plante, die Finanzierung zu diversifizieren, Konsortialdarlehen sowie Private Debt hinzuzunehmen und in diesem Zug die Duration zu verlängern, um die Sicherheit zu stärken. Die Eigentümer aber scheuten nicht nur die Abservierung ihrer regionalen Kontakte, sondern auch höhere Kosten. Letzten Endes scheiterte eine sichere Kapitalstruktur an der fehlenden Bereitschaft zu Reformen.

Das kann in der aktuellen Marktlage fatal sein. In guten Zeiten ist es eine Überlegung wert, die Kosten der Finanzierung und einen „optimalen“ Verschuldungsgrad zu priorisieren. Dazu kann sogar Eigenkapital abgezogen werden, um die Vermögensanlage zu diversifizieren und die Eigenkapitalrendite zu erhöhen. Das funktioniert aber nur, wenn langfristig Profitabilität gewährleistet ist.

Mehr Diversifizierung wagen

Zwar hat sich die Eigenkapitalquote im deutschen Mittelstand seit 1997 bis 2021 kontinuierlich verbessert. Doch seitdem ist viel passiert, viele Unternehmen kommen aus den vergangenen Jahren mit einer schwer tragbaren Verschuldung. Geschäftspläne gehen oft nicht auf, Rentabilität und Wachstum werden nicht erreicht, Schulden aber bleiben und müssen getilgt werden. Solche langfristigen Verschuldungsberge sind aktuell nicht leicht zu refinanzieren. Schmittat rät in diesen Fällen zu einer Stärkung der Eigenkapitalquote – was de facto bedeutet, dass der Unternehmer Geld nachschießt.

Wenn das keine Option ist, können alternative Finanzierungsformen wie Nachrangkapital sinnvoll sein. „Damit lässt sich die vorrangige Finanzierung reduzieren und wieder ein Level erreichen, auf dem Banken bereit sind, langfristig zu investieren“, sagt Schmittat. Banker Rapp rät allerdings, die Vor- und Nachteile sehr genau abzuwägen: „Der Geber von Nachrangkapital trägt ein gewisses Equity-Risiko und erwartet Mitsprache und Einfluss, was auch zu schwierigen Entscheidungsprozessen im Unternehmen führen kann.“

Insgesamt gilt: Die deutschen Unternehmen sind solide finanziert, das unterstreichen Banker und Berater. Jan Schildbach von Deutsche Bank Research betrachtet die Finanzierungskultur hierzulande aus volkswirtschaftlicher Perspektive und betont die wichtige Rolle der Banken: „Kleinere und mittelständische Unternehmen finanzieren sich noch immer vorwiegend über Bankkredite.“ Entsprechend sieht der Experte auch Luft nach oben hinsichtlich der optimalen Kapitalstruktur: „Deutsche Großunternehmen sind sehr diversifiziert aufgestellt, bei mittelgroßen Unternehmen sollten alternative Finanzierungsformen eine größere Rolle spielen.“

„Alternative Finanzierungsformen sollten eine größere Rolle spielen.“

Jan Schildbach
Deutsche Bank Research

In Summe lässt sich festhalten: Der deutsche Mittelstand ist in Bezug auf den Verschuldungsgrad gut aufgestellt – die Last ist bei den meisten Unternehmen moderat. Das verschafft eine gewisse Resilienz. Die Struktur der Finanzierung ist leider weniger erfasst, hier lauern die größten Gefahren. Viele Unternehmen wurden über Jahrzehnte hinweg in ihrer Finanzierung auf die Kosten hin optimiert, und das geht zulasten der Sicherheit.

Der Fokus muss also auf der Diversifizierung und langfristigen Verfügbarkeit der Finanzierung liegen. Das bedeutet neben neuen Fremdkapitalgebern eine diversifizierte Fälligkeitsstruktur, durch die nicht alles auf einen Schlag refinanziert werden muss. Bei der Verschuldungshöhe darf es hinsichtlich der Ausarbeitung einer optimalen Kapitalstruktur durchaus darauf ankommen, welche Risikoaffinität der Eigentümer mitbringt – entsprechend dieser Einschätzung muss dann aber auch gehandelt werden. Und ja, auch die beste Finanzierungsstruktur leidet unter enormen wirtschaftlichen Umbrüchen und Krisen. Auch gute Kapitalstrukturen können ins Wanken geraten. Dann muss man die Situation neu bewerten, darf höhere Kosten in Maßen nicht scheuen und sollte vor allem in Erinnerung behalten, was das wichtigste Ziel ist: das Unternehmen gesund weiterführen zu können.

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02/2025
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Isabella-Alessa Bauer. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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