Krieg, Inflation, hohe Energiepreise: Sind deutsche Unternehmen da noch bereit, im eigenen Land zu investieren – und haben überhaupt die Chance, Kredite zu bekommen? Von Antworten auf diese Fragen hängt auch die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland ab
„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ Dieser Satz des Schweizer Schriftstellers Max Frisch dürfte deutschen Unternehmern heute wie Hohn vorkommen: Nach Corona kommt der Ukraine-Krieg, die Inflation kehrt zurück, nicht zuletzt getrieben von hohen Energiepreisen, und schließlich eskaliert die Lage in Nahost. Dazu kommen die bekannten Herausforderungen: Digitalisierung, Fachkräftemangel, Innovationsrückstand. Bei wem Krise da noch ein produktiver Zustand und keine Katastrophe ist, der ist die Ausnahme – oder?
Tatsächlich war die Stimmung schonmal besser. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) konstatiert in seiner Konjunkturprognose aus dem September: „Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft haben sich eingetrübt, (…). Unternehmensbefragungen sprechen dafür, dass die wirtschaftliche Dynamik schwach bleiben wird.“ Deutschlands Wirtschaft kränkelt vor sich hin. Um aus der Abwärtsspirale auszubrechen, braucht es Investitionen. Ob Unternehmenslenker Geld in die Hand nehmen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die KfW hat diese in einer Umfrage herausgearbeitet. Wichtigstes Kriterium ist die Entwicklung des Unternehmens: je höher die Umsätze und je dicker das Finanzpolster, desto größer die Investitionsbereitschaft.
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Das ist nicht überraschend, ein weiterer wichtiger Faktor wird dagegen gern übersehen: das Alter der Unternehmer. 57% der Eigentümer unter 40 haben im Mittel der Jahre 2004 bis 2020 investiert – bei den über 60-Jährigen waren es nur 36%. Zudem investieren jüngere Inhaber die Hälfte ihres Gesamtinvestitionsvolumens in Kapazitätserweiterungen, die älteren nur ein Fünftel. Je älter der Unternehmer, desto mehr drängt auch die Nachfolgeregelung – und je näher der Übergabezeitpunkt rückt, desto geringer werden die Investitionen. Außerdem hemmen geringe Wachstumsambitionen die Investitionstätigkeit: Viele Betriebe haben funktionierende Geschäftsmodelle, an denen sie nicht herumschrauben möchten. Ihnen ist der Fortbestand des Unternehmens wichtiger als Expansion.
Aus dieser Gemengelage ergibt sich eine seit Jahren sinkende Investitionsbereitschaft von Unternehmen – verstärkt durch zeitlich begrenzte Krisen. Die KfW spricht von einer strukturellen Investitionsschwäche, die sich nach dem Tiefpunkt der Eurokrise 2013 zwar teilweise reduziert, mit Corona aber wieder verschärft hat. Eric Heymann, Analyst bei Deutsche Bank Research, erklärt: „Gesamtwirtschaftlich sehen wir gegenüber früheren Zyklen eine geringere Dynamik, vor allem bei Ausrüstungsinvestitionen.“ Er bilanziert: „Die Konjunkturschwäche dämpft die Investitionsbereitschaft.“
Das ist verständlich, Investitionen in der Krise sind riskant. Im ersten Coronajahr 2020 entschieden die Unternehmen: zu riskant. Die Investitionen sanken im Mittelstand laut KfW um durchschnittlich 22%. Neuinvestitionen der mittelständischen Unternehmen, also jene Investitionen, die nicht dazu dienen, bestehende Maschinen, Fuhrparks oder andere Kapazitäten zu ersetzen, gingen um 7% auf insgesamt 173 Mrd. EUR zurück.
„Die Konjunkturschwäche dämpft die Investitionsbereitschaft.“
Eric Heymann, Deutsche Bank Research
Schnell folgte den massiven Einschnitten aber die Erkenntnis der Firmenlenker: Ich muss mich an die neuen Gegebenheiten anpassen. Daher wurde zügig wieder investiert, allerdings vorwiegend in unausweichliche Anpassungen – und mit geringeren Summen. Lagerkapazitäten wurden erhöht, Lieferketten gestrafft. „Externe Faktoren haben die Unternehmen zu Investitionen gezwungen“, erklärt Analyst Heymann.
2021 veränderte sich die Situation erneut. Die KfW erklärt: „Mit dem Wegfall des hohen Anpassungsdrucks des ersten Pandemiejahres nehmen wieder deutlich weniger KMU Investitionen vor – dafür vermehrt größere Vorhaben. In der Folge zieht die durchschnittliche Projektgröße an und das Investitionsvolumen nimmt zu.“ Geld wurde in die Hand genommen – allerdings am liebsten, ohne einen Kreditgeber ins Boot zu holen. Um ihre Investitionstätigkeit komplett oder teilweise zu finanzieren, haben 2021 gerade einmal 11% aller mittelständischen Unternehmen mit Banken über Kredite verhandelt. Die KfW hat noch nie geringere Werte ermittelt: ein Allzeittief. Die Unternehmen allerdings, die Kreditverhandlungen geführt haben, waren dabei so erfolgreich wie nie: Zwei Drittel der mittelständischen Unternehmen nahmen 2021 insgesamt 67 Milliarden Euro zur Finanzierung ihrer Investitionen auf.
2022 war aber schon wieder Schluss mit der Ausgabebereitschaft. Der Ukraine-Krieg brachte hohe Energiekosten – und hohe Unsicherheit. Investitionen platzten zuhauf. Noch nie verlief die krisenbedingte, unterjährige Anpassung der Investitionspläne im Mittelstand ähnlich scharf, konstatiert die KfW: „Schätzungsweise 59 Milliarden Euro gehen verloren.“ Negativ wirkte sich auch die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen aus. „Kredite werden teurer, das trifft vor allem den Bausektor stark“, sagt Heymann. „Baugenehmigungen sind deutlich gesunken – in diesem Bereich hat der Effekt der Zinswende am heftigsten durchgeschlagen.“
Bis heute haben die Investitionen im Mittelstand sich nicht vollständig vom Einbruch 2020 erholt und liegen preisbereinigt 2% unter dem Wert von 2019. Anfang 2023 zogen die Investitionen zwar kräftig an – diese Entwicklung weicht aber bereits wieder einer eingetrübten Stimmung. Insgesamt erwartet die KfW ein Wachstum der Investitionen von 2%.
Nach dem ersten Schock durch Corona war klar: Externe Faktoren zwingen zu Investitionen.
Die Verschärfung der Vergabekriterien für Kredite immerhin wirkte sich nicht nachhaltig negativ aus. Eine Erhebung der Bundesbank ergibt, dass die Volumina langfristiger Unternehmenskredite seit 2018 kontinuierlich steigen. Auch in Folge der Zinswende 2022 gab es keinen Rücksetzer. Zwar zeigt sich, dass die Zunahme 2023 bis zum dritten Quartal geringer ausfällt als in den Vorjahren und auch im Quartalsverlauf verringert sich die Zunahme der Kreditvolumina – unter dem Strich aber wird immer mehr Geld an Unternehmen vergeben. Anders das Bild bei kurzfristigen Krediten. Diese brachen 2020 im zweiten Quartal ein, erholten sich 2022 vorrübergehend, sind aber seit Beginn des Jahres wieder rückläufig.
Die Zahlen stützen den medialen Alarm also nicht: Die Investitionstätigkeit in Deutschland ist nicht dauerhaft eingebrochen – und auch die Unternehmen in der gesamten Europäische Union (EU) investieren weiterhin. Das ergibt eine Umfrage der Europäischen Investitionsbank (EIB) aus diesem Jahr: „Trotz bestehender Unsicherheiten zeigen die 13.000 Mitte 2023 von der EIB befragten Firmen, dass die Unternehmensinvestitionen in der gesamten EU robust bleiben. Der Anteil der EU-Firmen, die im letzten Jahr investiert haben, erreichte wieder das Vor-Corona-Niveau“, fasst die EIB ihre Erkenntnisse zusammen und bezieht sich auf Investitionen, die in die EU flossen.
Gerade in Deutschland kann die Transformation hin zu einer umweltfreundlichen und dennoch produktiven Wirtschaft nur mit massiven Investitionen gelingen. Der Industriestandort ist angewiesen auf Unternehmenslenker, die auch in volatilen Zeiten Geld einsetzen. Umso bedenklicher sind die weiteren Ergebnisse der EIB-Umfrage. 2023 lässt sich laut Studie eine negative Wahrnehmung des politischen und wirtschaftlichen Klimas erkennen: Mehr EU-Firmen erwarten 2024 eine Verschlechterung. Außerdem rechnen die Befragten vor dem Hintergrund strengerer Finanzierungsbedingungen und eines weiteren Rückgangs öffentlicher Hilfen mit einem schwierigeren Zugang zu Fremdkapital. In Deutschland schlagen andere Risiken stärker zu Buche. Laut DIHK Konjunkturumfrage sind vor allem Fachkräftemangel und Energie- und Rohstoffpreise Herausforderungen für Unternehmer. Den Zugang zu Finanzierung nennen nur 17% der Befragten als Risikofaktor für ihre Geschäfte.
Heymann von DB Research fasst zusammen: „Unternehmen investieren in dem Maße, in dem sie es für richtig halten – nach eigener Perspektive mit Blick auf Kunden- und Kostenstrukturen.“ Der Experte will nicht pauschal davon sprechen, dass Firmen „zu wenig“ investieren. Vielmehr passen sie sich nach seiner Einschätzung an die Gegebenheiten an und positionieren sich darin mit Investitionen im für sie vertretbaren Rahmen. Auf der Kreditseite sieht Heymann keinen Engpass: „Die Banken beziehungsweise der Zugang zu Kapital sind nicht das entscheidende Nadelöhr.“ Wichtiger sei, ob Unternehmer das Gefühl hätten, dass Investitionen sich auszahlen. Und eben in diesem Punkt sind die Einschätzungen der Unternehmen nicht immer positiv. Das mag an einer streitenden Bundesregierung liegen, an Energieengpässen und zu wenig Chuzpe bei der Transformation hin zu einer grünen Ökonomie.
Wie sich die Investitionsbereitschaft tatsächlich entwickelt, kann niemand vorhersagen – Mut macht aber, dass die langfristigen Kredite in Deutschland kontinuierlich zunehmen und die Unternehmensinvestitionen im ersten Halbjahr 2023 zugelegt haben. Tatsächlich scheinen die Unternehmenslenker es mit Max Frisch zu halten und die (anhaltenden) Krisen als produktiven Zustand wahrzunehmen – damit wählen sie einen ehrgeizigen Weg, der Deutschland hoffentlich bereits 2024 wieder Wirtschaftswachstum bringt.
12/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Isabella-Alessa Bauer. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.