Die deutsche Industrie braucht eine Grunderneuerung. An Ideen, Gründern und Wissen mangelt es nicht, der Engpass liegt bei den Anschubfinanzierungen. Sie können Jungunternehmen durch die „Todeszone“ aus hohem Investitionsbedarf und schlechter Kreditwürdigkeit hindurchbringen. Doch oft übersteigt der Bedarf die klassischen VC-Budgets. Wer liefert die Lösung?
Mit fast schon väterlichem Stolz blickt Alwin Heerklotz auf den „Rainos“ herab, eine seiner neuesten Entwicklungen. Der Rainos, konstruiert von Heerklotz’ Team bei Innok Robotics, ist ein vollautomatischer Roboter, der in der Lage ist, völlig autonom große Grünflächen und Parkanlagen zu bewässern. Schon seit vielen Jahren sind ähnliche Roboter in Innenräumen anzutreffen, zum Beispiel in großen Lagern oder Fabriken. Den Innok-Ingenieuren ist es gelungen, Geräte zu entwickeln, die auch in der unwegsamen Außenwelt – über Stock und Stein und bei wechselndem Wetter – zuverlässig ihre Arbeit verrichten. Die selbst entwickelte Technik, die in den Innok-Robotern steckt, sucht nach Ansicht des Unternehmers weltweit ihresgleichen. Und der Markt, den Innok erobern will, ist gigantisch. Laut Marktforschern wächst er jährlich um mehr als 50 Prozent und soll 2026 ein Volumen von 14 Milliarden US-Dollar erreichen. Für Deutschland wäre es ein Triumph, tatsächlich eines Tages den Weltmarktführer in diesem Zukunftsfeld zu stellen.
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Aktuell haben Heerklotz und seine Mitstreiter jedoch ganz andere Sorgen: Innok hat gerade die gefürchtete „Todeszone“ betreten, in der Start-ups zu „Scale-ups“ werden, also viel Geld ausgeben, um schnell zu wachsen und in einem neu entstehenden Markt die führende Position zu besetzen. „In den vergangenen zwölf Monaten haben wir unsere Mitarbeiterzahl auf 30 verdoppelt, unsere erste echte Sales-Einheit aufgebaut und viele Kontakte zu Blue-Chip-Konzernen geknüpft, die an unseren Robotern interessiert sind“, berichtet Heerklotz. Der Personalaufbau sorgt jedoch für beträchtliche Anfangsverluste. „Das finanzieren wir natürlich mit Eigenkapital“, berichtet der Gründer. Dieses stammt von dem Mittelstandsinvestor Prolimity und dem Unternehmer Heinz Ferchau, der Ende vergangenen Jahres mit vier Millionen Euro eingestiegen ist.
„Innok hat ein gewaltiges Potenzial. Aber wir brauchen unkomplizierte Finanzierungslösungen, um es voll ausschöpfen zu können.“
Alwin Heerklotz, Innok
Aber jetzt steht das Hochfahren der Produktion auf dem Plan. Dafür müssen Waren angeschafft und Demo-Roboter produziert werden. In nur fünf Jahren soll der Umsatz von zuletzt zwei Millionen auf bis zu 100 Millionen Euro ausgebaut werden. Der Antrieb, derart schnell zu wachsen, kommt vom M&A-Markt: Einige ausländische Wettbewerber von Innok sind schon von Finanzinvestoren und Industriekonzernen aufgekauft worden – zu Kaufpreisen in einer Höhe des bis zu 30-fachen Umsatzes.
Entsteht in Regenstauf also gerade ein neues Milliardenunternehmen made in Germany? Miteigentümer Peter Mauritz, Chef des Finanzinvestors Prolimity, runzelt die Stirn. „Das wäre schön, und die Chance ist da. Aber wir müssen verdammt schnell sein, um den Markt zu besetzen, und die Wachstumsfinanzierung bereitet mir Bauchschmerzen. Wir werden unsere Ziele eher nicht erreichen können, wenn wir alles über Eigenkapital finanzieren müssen.“
Die Sorgen bei Innok kann Hauke Burkhardt gut nachvollziehen. Der Leiter des Bereichs Corporate Lending der Deutschen Bank sieht ebenfalls Bedarf, mit modernen Tech-Scale-ups die Industrie-struktur in Deutschland zu erneuern. Er kennt jedoch auch das Nadelöhr, das die Fremdfinanzierung beim Unternehmenswachstum sein kann. „Banken müssen – auch regulatorisch bedingt – bei der Kreditvergabe auf die Bonität der Kunden achten. Nur auf Sicherheiten, zum Beispiel Lagerbestände, kann man keine Finanzierung abstellen.“ Allerdings ist die Bonität bei defizitären Wachstumsunternehmen in aller Regel schwach.
Tradition ist langsam: Die Industrieunternehmen, die unsere Wirtschaftslandschaft prägen, sind nicht selten schon im 19. Jahrhundert gegründet worden. Sie sind langsam, aber unaufhörlich gewachsen, Jahr für Jahr um ein paar Prozent. Das ging lange gut. Doch die heute gegründeten Techindustrieunternehmen bewegen sich nicht nur in Märkten, die sich rascher wandeln. Viele von ihnen sollen auch eine gesellschaftliche Aufgabe bei der nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft übernehmen. Darum müssen sie den berühmten Hockeystick-Effekt aus der Welt des Venture Capital hinbekommen: kurze Anlaufzeit und dann rasantes Wachstum. Doch das geht nur mit viel Geld.
Man kann nicht behaupten, dass die Politiker dieses Problem nicht erkannt hätten. Jedes Bundesland hat eigene Förderbanken, ganz oben steht die KfW, die ein ganzes Bündel an Förderprogrammen für Jungunternehmen im Angebot hat. Dazu zählen unter anderem Förderkredite, bei denen die durchleitende Bank nur 50 Prozent des Kreditrisikos tragen muss, sowie Beteiligungsprogramme und Zuschüsse für Wagniskapitalgeber, die Venture Capital oder Venture Debt ausreichen.
Helmut Schönenberger kennt jeden einzelnen Fördertopf aus dem Effeff. Er ist Professor an der Technischen Universität München (TUM) und war vor mehr als 20 Jahren einer der Gründerväter von UnternehmerTUM, einem der europaweit angesehensten universitären „Brutkästen“ für junge Tech-unternehmen. „Mir ist eigentlich nicht bange. Deutschland hat eine tolle Technologie- und Talentebasis. Allein die TUM bringt jede Woche eine skalierbare Unternehmensgründung hervor“, freut sich Schönenberger. „Dazu gibt es in Deutschland eine Menge Förderprogramme und riesige Mengen an privatem Kapital. Wir müssen einfach schneller darin werden, diese Bausteine zusammenzubringen, um den internationalen Anschluss nicht zu verlieren.“
„Um die industrielle Transformation in Deutschland voranzubringen, braucht es ein Finanzierungsprodukt, das zwischen Eigen- und Fremdkapital liegt.“
Hauke Burkhardt, Deutsche Bank
Innok-Robotics-Gründer Heerklotz kann diesen Befund mit den konkreten Sorgen eines Jungunternehmers ausmalen. „Erstens: Wenn keine Bank unseren Kreditantrag positiv bescheinigt, bekommen wir auch keine KfW-Förderung. Und zweitens: Bei alternativen Finanzierungen haben unsere Wettbewerber aus den USA viel mehr Auswahl als wir.“ Mitgesellschafter Mauritz erzählt, dass in Deutschland zum Beispiel nur wenige Anbieter von Venture Debt engagiert seien – anders als in den USA. Und einer der größten Player in Deutschland, die US-amerikanische Silicon Valley Bank, ist im Frühjahr implodiert. Das hat die deutsche Start-up-Szene nicht weniger getroffen als die amerikanische, obwohl die Bank einen Großteil ihres Geschäfts in Nordamerika gemacht hat. Auch kreative Lösungen unter Einbindung privater Kapitalgeber finden sich eher in den USA als in Deutschland. „Wir sind ein junges Unternehmen mit ganz wenig Track Record“, sagt Heerklotz. „Deshalb müssen wir kreativ sein, um Kunden als First und Early Mover davon zu überzeugen, uns einen Auftrag zu geben.“
Eine naheliegende Vertriebsstrategie wäre es, diesen Kunden die Innok-Roboter als Demo-Modelle mit Rücknahmegarantie oder im Rahmen von Pay-per-Use-Finanzierungsmodellen zu verkaufen – im Fall von Innok als „Robotics as a Service“. Heerklotz würde das gern machen. Der Haken: Bei solchen Modellen dauert es zum Teil mehrere Jahre, bis der komplette Verkaufserlös beim Hersteller angekommen ist, und Innok benötigt eigentlich jeden Euro sofort, um das Wachstum anzuschieben. Mauritz: „In den USA gibt es einen großen Kapital-markt allein für Investoren, die in die stabilen Cashflows von Pay-per-Use-Modellen investieren. Mit deren Hilfe können US-Firmen ihren Vertrieb auf Pay-per-Use umstellen, aber trotzdem sofort den Verkaufserlös vereinnahmen – ein Riesenvorteil.“
Immerhin wurde das Problem erkannt, und es tut sich etwas. „Um die industrielle Transformation in Deutschland voranzubringen, braucht es ein Finanzierungsprodukt, das zwischen Eigen- und Fremdkapital liegt“, ist Hauke Burkhardt überzeugt. „Die Entwicklung eines solchen neuen Finanzierungsinstruments müssen alle Akteure gemeinsam angehen. Insbesondere braucht es hier das Know-how und Engagement von Politik, Banken und Förder-instituten. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gemeinschaftlich gelingt, eine weitere Lösung für die Finanzierung der digitalen und nachhaltigen Zukunft zu schaffen.“
TUM-Professor Schönenberger arbeitet aktuell an einer konkreten Initiative mit, die sich speziell der Stärkung der Energieresilienz in Deutschland mit unternehmerischen Mitteln widmet. „Konzerne, Banken und Start-ups beraten gerade, wie sie in einer konzertierten Aktion skalierbare Lösungen vorantreiben könnten. Das Problembewusstsein ist vorhanden, der Handlungsdruck auch. Ich bin zuversichtlich, dass solche Initiativen am Ende die Start-up-Finanzierung in Deutschland deutlich vereinfachen könnten.“ Der Grund liegt auf der Hand: Mit Investitionen in erfolgreiche Wachstums-unternehmen lässt sich viel Geld verdienen. „Das Ertrags- und Renditepotenzial dieser Unternehmen ist riesig“, sagt Burkhardt. „Klassische Fremdkapitalgeber können daran nicht partizipieren, aber für Eigenkapital-Investoren, die direkt am unternehmerischen Erfolg teilhaben, ist das hochinteressant.“
Alwin Heerklotz würde sich freuen, wenn diese Lösungen schnell an den Markt kämen. Er will (und muss) jetzt Gas geben. „Innok hat ein gewaltiges Potenzial. Aber wir brauchen unkomplizierte Finanzierungslösungen, um es voll ausschöpfen zu können.“ Für den nächsten Schritt hat die Innok-Führung schon mal einen smarten Workaround gefunden: Innok wird zunächst nicht selbst eine Produktionslinie aufbauen, sondern die Montage der Roboter einem externen Fertigungspartner übertragen. „Selbst zu produzieren würde die Feedback-Schleifen mit unseren Kunden zwar verkürzen, was schön wäre. Aber so sparen wir Kapital und können uns auf den Vertrieb und die Weiterentwicklung unserer Autonomiesoftware und der Sensorik unserer Roboter konzentrieren – und in Zukunft auch auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz“, sagt Heerklotz.
„Mir ist eigentlich nicht bange. Deutschland hat eine tolle Technologie- und Talentebasis.“
Helmut Schönenberger, Technische Universität München
Für Innok mag der Workaround also funktionieren. Das Grundproblem ist damit aber nicht gelöst: Innovative Techunternehmen müssen in der Phase der Produktentwicklung und der Skalierung Liquidität erhalten, für die sie keinen Unternehmenswert abgeben, sondern einen Ertrag – und das ohne Kredithistorie und belastbare Sicherheiten, sondern höchstens mit Aufträgen. Sollte hierfür eine Lösung gefunden werden, wäre das ein warmer Regen für die deutsche Finanzierungslandschaft und eine Oase für manch hoffnungsvollen Einhorn-Kandidaten.
11/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Michael Hedtstück. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.