Gebäude sind die reinste CO2-Schleuder. Sie auf Nachhaltigkeit zu trimmen ist so wichtig wie komplex – und eine Herausforderung, die die komplette Baubranche verändern wird. Qua Gesetz muss sich aber auch jeder Mittelständler mit dem Thema beschäftigen, sonst wird es künftig teuer.
Der Rewe-Supermarkt im hessischen Wiesbaden-Erbenheim hat die Wiese nicht nur im Namen, sondern auch auf dem Dach. Dieses beheimatet jährlich 800.000 Basilikumbäume sowie eine 230 m² große hauseigene Fischzucht, die im Jahr rund 20.000 Fische in die Frischetheke bringt. Im Supermarkt selbst sind 1.100 m³ Nadelholz verbaut, wodurch Rewe angeblich 700 Tonnen CO2 einspart.
Seit 2009 hat die Supermarktkette nach eigener Aussage über 200 solch grüner Gebäude gebaut, die bis zu 40 Prozent weniger Energie verbrauchen sollen als konventionelle Märkte. Seit 2008 nutzt Rewe grünen Strom – also Energie, die durch Wind, Wasser, Sonne oder Biomasse erzeugt wurde. Die Supermarktkette folgt damit einem gesellschaftlichen Megatrend: Nachhaltigkeit.
Der nachhaltige Bau, beziehungsweise die nachhaltige Sanierung von Immobilien betrifft aber nicht nur Supermärkte, sondern jeden Mittelständler. „Bis 2045 müssen alle Gebäude in Deutschland klimaneutral sein. Dazu zählt jedes Gebäude, egal ob Mietshaus, Lagerhalle, Büro oder Produktionshalle“, sagt Tanja-Alexa Noglik, die sich als Spezialberaterin der Deutschen Bank mit Finanzierungen, insbesondere mit Nachhaltigkeitskrediten beschäftigt.
„Bis 2045 müssen alle Gebäude in Deutschland klimaneutral sein.“
Tanja-Alexa Noglik, Deutsche Bank
Das Thema wird für Mittelständler aber schon deutlich früher brisant. Dem novellierten Klimaschutzgesetz zufolge müssen bereits bis 2030 die Treibhausgase im Gebäudesektor im Vergleich zu 1990 um zwei Drittel sinken. Speziell die Industrie soll bis 2030 die eigenen Treibhausgasemissionen auf 118 Millionen Tonnen CO2 zurückfahren. 2020 lag die Bilanz laut Umweltbundesamt bei 178 Millionen Tonnen, womit die Industrie ihre Ziele leicht verfehlt hat. Noglik weist außerdem darauf hin, dass ab 2023 zudem jedes größere Unternehmen mit mindestens zehn Mitarbeitern und zwei Millionen Euro Umsatz (KMUs ausgeschlossen) einen Nachhaltigkeitsbericht als festen Bestandteil in den Jahresabschluss integrieren muss.
Beim nachhaltigen Immobilienbau fordert der Staat zwar, doch er fördert auch. Es stehen gut gefüllte Fördertöpfe bereit: In den vergangenen zwei Jahren hat der Bund 80 Milliarden Euro für den Klimaschutz bereitgestellt und plant noch mehr. Allein über 5 Milliarden Euro sollen für klimafreundliche Gebäude locker gemacht werden. Das Programm zur Dekarbonisierung der deutschen Industrie soll um 650 Millionen Euro aufgestockt werden. Es richtet sich vor allem an die Stahl-, Chemie-, Zement-, Kalk- und Nichteisenmetallindustrie – kurz: an die energieintensiven Branchen.
200
grüne Supermärkte hat Rewe.
Die Zuschüsse lassen sich auch mit einer Finanzierung kombinieren. Unternehmen haben Noglik zufolge zwei Möglichkeiten: Sie können a) ein öffentliches Förderdarlehen mit staatlichen Zuschüssen oder b) diesen Zuschuss als staatlichen Barzuschuss beantragen und das Bauvorhaben über ein Hausbankdarlehen finanzieren. Die Finanzierung selbst hat ebenfalls eine Nachhaltigkeits-Incentivierung über den Zins, die Noglik zufolge aktuell rund 0,1 Prozent ausmacht: „Werden mit dem Kunden definierte Nachhaltigkeitsziele erreicht, bezahlt der Firmenkunde etwas weniger Marge. Werden die Ziele verfehlt, muss er einen Margenaufschlag bezahlen.“ Den Malus vereinnahme aber nicht Deutsche Bank, vielmehr leite sie ihn in Abstimmung mit dem Kunden an nachhaltige Projekte weiter.
Um ESG-Vorteile bei der Förderfinanzierung zu erhalten, müssen die Nachhaltigkeitsfortschritte nachgewiesen und dokumentiert werden. Die Baubranche arbeitet an dieser Stelle schon lange mit Siegeln. Einer der Anbieter ist die „Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“ (DGNB). Sie prüft Gebäude auf deren ökologische, ökonomische und sozialkulturelle Qualität.
Je nach Erfüllungsgrad dieser drei Kriterien gibt es vier verschiedene Zertifikatsstufen: Platin (80 Prozent Erfüllungsgrad), Gold (65 Prozent), Silber (50 Prozent) und Bronze (35 Prozent). Für jedes der drei Kriterien hat die DGNB Zielwerte definiert. Werden diese erreicht, vergibt die Gesellschaft dafür bis zu zehn Bewertungspunkte, die unterschiedlich gewichtet werden und zusammen den Erfüllungsgrad ergeben.
„Bauunternehmen setzen bei Ihren Aufträgen auf Nachhaltigkeit und eine ausreichende Zertifizierung.“
Tanja-Alexa Noglik, Deutsche Bank
„Der Gold-Status vom DGNB entspricht den Anforderungen der Bundesrepublik an klimaneutrale Gebäude“, erklärt Noglik. In der Baubranche werde es mit Blick auf das in 2045 zu erreichende Ziel der klimaneutralen Gebäude immer wichtiger, die Standards einzuhalten. Darum setzen die Bauunternehmen nach Nogliks Beobachtung bei ihren Aufträgen auf Nachhaltigkeit und auf eine ausreichende Zertifizierung.
Dieser Handlungsdruck verändert die komplette Baubranche und deren Wertschöpfungskette – beginnend mit der Gebäudeplanung (Energiewirtschaft) über die Materialherstellung (Industrie/Energiewirtschaft), den Bau und Transport (Gebäude/Verkehr) bis hin zum laufenden Betrieb (Energie/Gebäude) und die anschließende Entsorgung (Abfallwirtschaft).
Der nachhaltige Wandel verursacht Kosten, die sich jedoch begrenzen lassen, sofern sie frühzeitig berücksichtigt werden. „Die reinen Baukosten sind beim nachhaltigen Bauen im Vergleich zum konventionellen Bauen nur um 3 bis 5 Prozent höher, wenn alle Kosten von Beginn an einkalkuliert werden“, sagt Noglik.
Der Rewe in Wiesbaden-Erbenheim ist für Noglik ein Vorzeigeprojekt für nachhaltigen Immobilienbau. Die meisten Mittelständler sind aber noch lange nicht so weit. Vielmehr beginnen die Gespräche der Bankerin mit Mittelständlern mitunter immer noch so: „Ich habe zwei vegane Mitarbeiter, reicht das?“ – für eine kleine ESG-Spende auf jeden Fall, für einen ESG-Bonus sicher nicht.
10/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Autor: Philipp Habdank. Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.