Zu viele Bälle

Die Zentralbanken müssen seit 15 Jahren immer wieder den Karren aus dem Dreck ziehen. Das wird jedes Mal schwerer – muten wir ihnen zu viel zu?

Eigentlich sind Zentralbanken ein Ruhepol in der (Finanz-)Wirtschaft. Aktuell muten wir den Hütern des Geldes viel zu und überfrachten sie mit überzogenen Erwartungen. Es ist höchste Zeit, dass wir unsere Probleme selbst lösen.

Eigentlich sind Zentralbanken ein Ruhepol in der (Finanz-)Wirtschaft. Aktuell muten wir den Hütern des Geldes viel zu und überfrachten sie mit überzogenen Erwartungen. Es ist höchste Zeit, dass wir unsere Probleme selbst lösen. Illustration: Eva Hillreiner

Im November dieses Jahres wird sich das Schreckgespenst der deutschen Geldgeschichte zum hundertsten Mal jähren: die Hyperinflation. Damals druckte die Reichsbank wie wild Geld. Sie war selbst eine Getriebene, arbeitete aber eifrig am Desaster mit. Die Deutschen zogen daraus nach dem Zweiten Weltkrieg einen simplen Schluss: Die Bundesbank war unabhängig und auf den Erhalt des inneren und äußeren Werts der Währung fokussiert. „Wir haben hier ein Organ, das niemandem verantwortlich ist, auch keinem Parlament, auch nicht einer Regierung“, klagte Konrad Adenauer 1957 nach einer unliebsamen Leitzinserhöhung. Doch nicht einmal der durchsetzungsstarke Bundeskanzler konnte mit seiner berühmten „Fallbeil-Rede“ etwas ausrichten.

Eng gefasstes Mandat

Seitdem ist vieles passiert. Wir werden nie wissen, wie die Bundesbank auf die Herausforderungen der Finanzkrise und auf die aktuellen Verwerfungen reagiert hätte. Ähnliche Turbulenzen gab es höchstens 1973, als das System der festen Wechselkurse implodierte. Aber die unpolitische Natur hat sie vererbt: Die Unabhängigkeit der Zentralbank ist auch im europäischen System garantiert, durch die Verankerung in den Maastrichter Verträgen ist die EZB formal sogar noch schwerer antastbar als die Bundesbank, deren Autonomie nur auf einem Gesetz beruhte.

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„Wir haben hier ein Organ, das niemandem verantwortlich ist, auch keinem Parlament, auch nicht einer Regierung.“

Konrad Adenauer

Die Kernaufgaben einer Zentralbank sind klar definiert: für Geldwertstabilität sorgen und den Zahlungsverkehr sicherstellen. Die erste Aufgabe lässt sich nur lösen, wenn die Zentralbank die Wirtschaft mit der „richtigen“ Menge Geld versorgt. Das funktioniert über das Bankensystem – direkt Geld schöpfen können Zentralbanken eigentlich nur, wenn sie Bargeld in Umlauf bringen. Die sogenannte sekundäre Geldschöpfung erfolgt, indem die Zentralbank den Banken Geld leiht und diese wiederum über Kredite an alle Spieler der Wirtschaft neues Geld schaffen. Das landet in Form von Einlagen wieder bei den Banken und ist heute der wesentliche Teil: Ende 2022 bestand die eng gefasste „Geldmenge M1“ zu fast zehn Billionen Euro aus Sichteinlagen bei Banken, Scheine und Münzen machten nur gut 1,5 Billionen Euro aus.

Die Anstrengungen zur Bewältigung der Finanzkrise haben nun eine weitere Facette der Geldschöpfung hinzugefügt. Mit dem gigantischen Anleihekaufprogramm der EZB wurde neues Geld geschöpft, wenn die Banken für ihre gegen den Verkauf der Anleihen eingeräumten Zentralbankguthaben neue Anleihen erwarben. Für viele deutsche Beobachter – darunter auch den früheren EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark – war das ein sehr gewöhnungsbedürftiger Schritt. Für fast fünf Billionen Euro türmen sich Staats- und Unternehmensanleihen in der Bilanz der EZB. In den USA sieht es nicht anders aus. Zwar hatte die amerikanische Fed schon immer auch die Aufgabe, den Arbeitsmarkt zu stabilisieren und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Staatsfinanzierung war aber nie vorgesehen. Doch die Zentralbanken sorgten mit niedrigen Zinsen und Käufen von Staatsanleihen dafür, dass die Staaten liquide blieben.

Der Herr der Wechsel

Adobe Stock, Picture-Alliance/AP

Jetzt hat sich das Blatt gewendet. Seit der Finanzkrise vertrauen wir darauf, dass die Zentralbanken es schon irgendwie richten werden. Wir rechnen fest damit, dass unser Finanzsystem jederzeit mit ausreichend Liquidität versorgt wird – „whatever it takes“. Die Politik hat sich daran gewöhnt, dass Schulden notfalls im Portfolio der Zentralbank landen; die Wirtschaft hat sich daran gewöhnt, dass Zentralbankgeld sogar die konjunkturellen Zyklen nivelliert. Und darüber hinaus belasten wir die EZB auch noch mit der Aufgabe, die systemrelevanten Banken der Eurozone zu überwachen.

Wir müssen alle ran

Das alles hat in den vergangenen 15 Jahren ganz ordentlich funktioniert. Doch plötzlich haben wir viel mehr Inflation, als sich dieselben Zentralbanken wünschen können, die jahrelang verzweifelt versucht haben, wenigstens zwei magere Prozent Preissteigerung zu verursachen. Jetzt haben wir eine drastische Zinserhöhung auf ein Niveau, das zwar im historischen Vergleich moderat ist, aber durch die Geschwindigkeit der Maßnahme die Anleihewerte im Portfolio der Banken in den Keller rauschen lässt. Übrigens auch in der Bilanz der EZB, auf die in den kommenden Jahren hohe Buchverluste zukommen, wenn der Zins nicht wieder zurückgedreht wird.

Sind die EZB und ihre Schwesterinstitute in aller Welt überfordert? Schon lange wird gewarnt, dass die Zentralbanken ihr Arsenal erschöpft haben. Das mag mangelnder Fantasie geschuldet sein – schließlich konnte sich auch kaum jemand Minuszinsen oder Anleihekäufe vorstellen. Aber hexen können die Zentralbanker nicht. Ein paar Probleme müssen wir auch selbst anpacken: Finanzkrise, Corona, Energiekrise und schlicht laxe Haushaltspolitik haben die Schuldensituation vieler europäischer Länder drastisch verschärft. Sind drei oder vier Prozent durchschnittliche Zinslast für die südeuropäischen Staaten überhaupt tragbar? Das sind eigentlich keine Fragen, die für Zinsentscheidungen der EZB eine Rolle spielen sollten – sie wird sich ihnen aber kaum entziehen können.

Mit Geld allein lassen sich ökonomische und politische Probleme nicht lösen.

Das Gleiche gilt für das Bankensystem. Die Zinsentscheidungen der Zentralbank spülen hohe Gewinne in die Kassen der Banken, lassen sie aber im Anleiheportfolio leiden – das produziert Gewinner und Verlierer. Sollte dieselbe Institution, deren Zinsentscheidungen sich tief in die Gewinn-und-Verlust-Rechnung von Banken eingraben, diese Häuser auch überwachen und damit Mitverantwortung für Pleiten tragen? Sollte dieselbe Institution, deren Zinsentscheidungen den Haushalt von Staaten determinieren, deren Anleihen in die eigenen Bücher nehmen? Es gibt darauf keine einfachen Antworten, aber wir sollten nicht die ganze Last auf die Zentralbanken abwälzen. Irgendwann müssen wir alle mit anpacken – mit (neuem) Geld allein lassen sich ökonomische und politische Probleme eben doch nicht lösen.

05/2023
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.

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