Ohne den Schutzschirm für die Kreditversicherungen wäre es für kriselnde Unternehmen noch viel schwieriger. Doch trotz staatlicher Hilfen ist keineswegs garantiert, dass die Versicherer in der Sanierung an Bord bleiben.
In der Restrukturierung schauen alle auf die Banken – manche halten aber die Kreditversicherungen für das wahre Zünglein an der Waage. „Wenn man nicht mehr ohne Vorauskasse bestellen kann, ist oft alles zu Ende“, sagt ein erfahrener Finanzvorstand, der schon etliche Krisenfälle mitgemacht hat. „Das Working Capital schießt in die Höhe.“ Dann stellt sich die Frage nach der Finanzierung, doch die Banken schießen dafür nur ungern Geld nach. „Wenn die Kreditversicherungen aussteigen, bringt das immer Druck auf die Liquidität des Kunden“, bestätigt ein Sanierungs-Banker. Darum beobachten die Banken ganz genau, wie sich Euler Hermes & Co verhalten.
Das war nicht immer so. „Vor fünfzehn Jahren durften die Kreditversicherungen in der Sanierung nicht mit an den Tisch“ erinnert sich Thomas Reuther von der gleichnamigen Sanierungsberatung. „In der Finanzkrise hat sich das schlagartig geändert, und seitdem spielen die Versicherungen in jeder Restrukturierung eine wichtige Rolle.“ Liquidität ist in jeder Restrukturierung das Kernthema. „Heute wollen die Banken oft weiter finanzieren, aber die Linien nicht erhöhen“, sagt Reuther. Und ohne Deckung ist auch kein Factoring denkbar. Also müssen die Kreditversicherungen an Bord bleiben.
Das ist alles andere als ein Selbstläufer. Auch unter dem Schutzschirm schlucken die Kreditversicherungen nämlich nicht blind jedes Risiko. Am Ende schauen sie nicht anders als eine Bank auf das Risiko, nur eben am kurzfristigen Ende. Sie schauen auf dieselben Kennzahlen und haben dieselben Sorgen und Nöte mit ihren Kunden. Darum sollte man mit ihnen auch umgehen wie mit Banken: Viele Unternehmen binden die Kreditversicherungen in ihr monatliches Reporting ein und laden sie auch zu den jährlichen Bankentreffen, auf dem der Jahresabschluss und strategische Themen vorgestellt werden.
„Mit Mittelständlern und Finanzprofis treffen oftmals zwei Welten
aufeinander, die unterschiedlich denken und sprechen."
Detlef Heydt, Versicherungsmakler
Das ist alles noch recht egal, solange es läuft. Aber wenn es eng wird, kommt es auf saubere Kommunikation an. Die Kreditversicherungen hassen es, überrascht zu werden. „Die Kunden müssen schnell und offen mit allem, was sie an Finanzinformationen haben, an die Versicherer herantreten“, sagt Detlef Heydt vom Versicherungsmakler Heydt, Reims & Partner. In der Krise schlägt auch die Stunde der Fachmakler: „Wir kennen die Akteure und können als Moderator auftreten. Mit Mittelständlern und Finanzprofis treffen oftmals zwei Welten aufeinander, die unterschiedlich denken und sprechen. Wir Fachmakler kennen insbesondere die Denkweise der Kreditversicherer und können übersetzen und einschätzen, was im Einzelfall möglich ist und was nicht.“ Wenn es richtig gut läuft, packen die Kreditversicherungen sogar noch was drauf: „Durch transparente Liquiditätspläne können wir manchmal eine Erhöhung der Limite erreichen“, sagt Sanierungsberater Reuther.
Meistens wird es aber hakelig. Ein Finanzierungsanwalt plaudert aus dem Nähkästchen: Bei Stillhaltevereinbarungen sollen die Kreditversicherungen immer an Bord kommen und werden von den Finanzierern hofiert, lassen sich aber fast nie vertraglich binden. Banken wollen daher oft eine Zusage der Kreditversicherungen, dass diese ihre Limite „bis auf Weiteres“ in bedarfsgerechtem Umfang aufrechterhalten. „baW“ ist aber letztlich kaum mehr als eine moralische Verpflichtung, zumal die Kreditversicherungen die Verträge ja gar nicht mit dem kriselnden Unternehmen, sondern mit dessen Lieferanten schließen.
30 Milliarden Euro
umfasst der Schutzschirm für die Kreditversicherungen
Wenn die Kreditversicherungen merken, dass es richtig kriselt, schicken sie gern eine konzernweite Bestätigung für Eigentumsvorbehalte, um besicherte Gläubiger zu werden. Banken wiederum versuchen mitunter, das Verhalten der Kreditversicherungen als eigenen Kündigungsgrund durchzusetzen: Wenn ein Versicherer zuckt, dürfen sie auch raus. Und wenn ein Versicherer abspringt, folgen die anderen oft nach. Manchmal braucht es sogar eine Rückgarantie des Eigentümers, um die Kreditversicherungen zu zügeln.
Das ist ein komplexes Spiel mit vielen Variablen. Und wie immer zählt auch hier der Faktor Mensch: „Die Kreditversicherungen brauchen genauso wie die Banken Vertrauen in das Management“, sagt Sanierungsberater Reuther. „Ein bei Banken und Kreditversicherungen bekannter Interims-Geschäftsführer kann in derselben Situation oft bessere Verhandlungsergebnisse erzielen als das alte Management, weil die Finanzpartner schon gute Erfahrungen mit ihm gemacht haben.“
Auch wer kein Krisenunternehmen ist, bekommt die Krise zu spüren. Aktuell sind die Kreditversicherungen sehr nahe an den Unternehmen dran. Sie haben ihre Vorkehrungen getroffen und oft bereits Limite reduziert. Ihre Entscheidungen sind nicht immer vorhersehbar, darum lohnen durchaus Anfragen bei den großen Vier (Euler Hermes, Coface, Atradius, R+V) und den kleineren Anbietern im Markt. Auch ein Wechsel zu einem anderen Kreditversicherer ist möglich, aber in der Pandemiekrise deutlich aufwendiger für alle Beteiligten geworden: „Bei einem Wechsel muss man heute in der Regel das komplette Forderungsportfolio aufdecken und die Schadensanalyse der vergangenen Jahre zeigen“, berichtet Makler Heydt. „Da kann es dann durchaus noch zu Ablehnungen kommen. Dasselbe gilt für Unternehmen, die in der Pandemie als Krisenbranchen identifiziert werden und deren Geschäftsmodell im Einzelfall als nicht zukunftsfähig gesehen wird.“
„Der Schutzschirm führt dazu, dass die Unternehmer ihre Hausaufgaben nicht machen."
Thomas Reuther, Sanierungsberater
Immerhin hilft der Schutzschirm, das System einigermaßen stabil zu halten. Das schmeckt allerdings nicht jedem Experten: „Der Schutzschirm führt dazu, dass die Unternehmer ihre Hausaufgaben nicht machen“, sagt Sanierungsberater Reuther. Nach seiner Beobachtung wird heute viel abgesichert, was den Schutz nicht verdient. „Das dicke Ende kommt doch trotzdem irgendwann, ewig kann der Schutzschirm nicht bleiben.“ Über den 30. Juni hinaus werden die Unternehmen wohl aber noch darauf vertrauen können: „Ich gehe davon aus, dass der Schutzschirm mindestens bis zum Jahresende verlängert wird, sofern die Pandemie bis zum Sommer nicht wesentlich eingedämmt werden kann“ sagt Makler Heydt. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass eine Vielzahl von weltweit bestehenden Lieferketten nicht in dem aktuellen Umfang aufrechterhalten werden kann, womit der deutschen Wirtschaft insgesamt nicht geholfen ist.“
Es geht um gewaltige Summen: 2019 sicherten die Kreditversicherungen nach Angaben des Versicherungsverbands GDV Lieferungen im Wert von 411 Milliarden Euro ab. Die Absicherung von Forderungen an Kunden ist ein essenzieller Baustein in der globalen Wertschöpfungskette. In einer Krise steigt die Unsicherheit vieler Lieferanten, ob ihre Kunden die Rechnungen bezahlen können, der Absicherungsbedarf steigt dementsprechend. Gleichzeitig reagieren die Kreditversicherungen in normalen Krisen auf die steigenden Ausfallrisiken mit einer Kürzung der Limite. In der aktuellen drastischen, sehr plötzlichen und breiten Krise hätte ein Rückzug der Kreditversicherungen auf breiter Front eine dramatische Störung der Wertschöpfungsketten zur Folge gehabt.
Um möglichen Schaden abzuwenden, hat die Bundesregierung bereits im April 2020 einen Schutzschirm über die Kreditversicherungen gespannt. „Ohne den Rettungsschirm sähe es weitaus schwieriger aus“, glaubt Detlef Heydt vom Versicherungsmakler Heydt, Reims & Partner. „In der Finanzkrise haben die Kreditversicherer zum Teil ohne Vorwarnung das Parkett verlassen. Dieses Mal haben wir zu Beginn der Pandemie dasselbe befürchtet.“ Konkret wurde vereinbart, dass der Staat für das Jahr 2020 eine Garantie für Entschädigungszahlungen in Höhe von bis zu 30 Milliarden Euro übernimmt. Der Eigenanteil der Kreditversicherer betrug bis zu 500 Millionen Euro, im Gegenzug überließen sie 65 Prozent des Prämienaufkommens dem Bund und trugen die Ausfallrisiken, die über die Bundesgarantie hinausgingen.
Der Schirm hat funktioniert, die Kreditversicherungen erhielten ihre Limite weitgehend aufrecht. Doch nachdem Euler Hermes dem Vernehmen nach im Spätsommer angekündigt hatte, bei Unternehmen mit schwacher Bonität die Limite bis zum Auslaufen der Garantien Ende 2020 zu befristen, setzte hektische Betriebsamkeit ein. Die Erleichterung war groß, als Bund und Kreditversicherungen Anfang Dezember eine Verlängerung vereinbarten. GDV-Chef Jörg Asmussen postete in den sozialen Medien: „Kreditversicherer leisten mit dem Schutzschirm einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der Krise.“ Auch Frank Liebold, Deutschland-Chef des Kreditversicherers Atradius, atmete über denselben Kanal hörbar auf: „Es war ein hartes Stück Arbeit – aber es ist geschafft.“
Bis zum 30. Juni 2021 übernimmt der Staat weiterhin ein Ausfallrisiko in Höhe von bis zu 30 Milliarden Euro. Der Selbstbehalt der Kreditversicherer steigt auf 10 Prozent, dafür geben sie nur noch 60 Prozent des Prämienaufkommens ab. Derzeit deutet einiges darauf hin, dass der Schutzschirm über den 30. Juni hinaus verlängert wird.
01/2021
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