Der digitale Euro kommt, obwohl er kein aktuelles Problem löst. Für die EZB ist die Digitalwährung auch ein Baustein im Kampf um Souveränität – zu Recht?
Der neue Fernseher wird beim Händler um die Ecke mit Bitcoin bezahlt, der Pauschalurlaub im örtlichen Reisebüro mit digitalen Dollar, Interneteinkäufe wegen des aktuell günstigen Wechselkurses mit digitalen Yuan – ein Albtraum für die EZB: Wenn Zentralbanker die Kontrolle über die Geldmenge in ihrem Währungsbereich zu verlieren drohen, läuten alle Alarmglocken. Eine EZB-Studie über den digitalen Euro vom Oktober 2020 verweist auf die Gefahr, dass ausländische digitale Währungen die aktuellen Zahlungsmittel in großem Umfang ersetzen könnten.
Das wäre ein Problem, denn die EZB hat den Auftrag, die Wirtschaft mittelbar über das Bankensystem mit der angemessenen Menge an Geld zu versorgen. Das geht nicht mehr, wenn die EU-Bürger private oder ausländische Digitalwährungen wie ihr eigenes Geld nutzen. Um die Kontrolle nicht zu verlieren, dringt die EZB auf eine strenge Regulierung aller privaten Kryptowährungen und will den digitalen Fiatwährungen ein eigenes Angebot entgegensetzen. Das ist sinnvoll, auch wenn der Durchbruch privater Digitalwährungen als Zahlungsmittel ziemlich unwahrscheinlich ist.
Wenn das Geld nicht mehr fließt, gehen innerhalb kurzer Zeit die Lichter aus.
Die Geldmenge ist die eine Seite, der Zahlungsverkehr die andere. Aber: Praktische Vorteile für Bürger und Unternehmen bringt der digitale Euro auf absehbare Zeit nicht. Kontaktloses Bezahlen an der Kasse und kundenfreundliche Bezahlsysteme im Internet haben in den vergangenen Jahren auf breiter Front Einzug gehalten. Digitale Währungen vereinfachen nichts für Händler und Kunden, stattdessen muss eine weitere Bezahlform integriert werden. Die EZB schwingt darum in ihrer Analyse lieber die große Keule: Der digitale Euro trage als Alternative zu den ausländischen Zahlungsverkehrsanbietern zur strategischen Autonomie bei.
Dieser Aspekt spielt in der Diskussion bislang kaum eine Rolle und wird auch von der EZB nicht stark betont. Ob der digitale Euro tatsächlich eine alternative Zahlungsverkehrsinfrastruktur mit sich bringt, ist derzeit nämlich unklar. Und ob die Transaktionen am Ende selbst bei einer Blockchain-Lösung nicht doch wie aktuell bei Bitcoin-Zahlungen im Handel auch über klassische Wege abgewickelt werden, steht in den Sternen. Das Argument der EZB wirft aber eine spannende Frage auf, nämlich ob wir uns in Europa in einer gefährlichen Abhängigkeit von „ausländischen“ Zahlungsverkehrsanbietern befinden. Viele europäische Spieler gibt es zumindest nicht: Im klassischen Kartenmarkt vereinen die amerikanischen Giganten Visa und Mastercard mehr als zwei Drittel aller Zahlungen, auch hinter der beliebten Maestro-Karte steckt Mastercard. In vielen europäischen Ländern wickeln die beiden Amerikaner alle Kartenzahlungen im Hintergrund ab. Daneben sind in den vergangenen Jahren im Retail-Segment Ökosysteme im Zahlungsverkehr entstanden, die von bekannten Namen wie Apple, Google, Amazon, PayPal, Stripe oder WeChat getrieben werden. Sie verändern den Markt rasant. Mit Ausnahme von Klarna stammen die Spieler allesamt nicht aus Europa.
Die neuen Akteure haben den Zahlungsverkehr in eine neue Dimension gehoben. Er ist extrem effizient und komfortabel, mit zahlreichen Spielern in der Abwicklung allerdings auch sehr komplex. Die Banken sind im Laufe der Zeit immer weiter in den Hintergrund gedrückt worden – erst seit Kurzem versuchen sie, ihr Geschäft aktiv zu verteidigen und Marktanteile zurückzuerobern. Für Konsumenten und Unternehmen hat sich das Angebot immer weiter verbessert – wo also ist das Problem?
Das Problem lauert an zwei Fronten. Ohne funktionierenden Zahlungsverkehr ist eine arbeitsteilige Wirtschaft nicht möglich. Wenn das Geld nicht mehr fließt, gehen innerhalb kurzer Zeit die Lichter aus. Was passiert, wenn wir uns mit den Amerikanern irgendwann so schlecht verstehen, dass sie uns schaden wollen? Und wenn sie ihre Anbieter anweisen, europäische Unternehmen vom Zahlungsverkehr abzuklemmen? Das Kartengeschäft wäre in Europa auf einen Schlag quasi tot. Wenn auch Spieler wie Apple, Google oder Amazon unter Druck gesetzt würden, wären Konsumentenkäufe kaum mehr möglich. Das ist erst mal nur ein Hirngespinst, aber ein digitaler Euro mit entsprechender Infrastruktur könnte dann schon hilfreich sein.
Bevor der erste digitale Euro auf einem Konto landet, werden mindestens vier Jahre vergehen. Bis Juli 2023 zieht sich eine Untersuchungsphase, in der viele Details und wichtige Grundsatzfragen wie die Infrastruktur (bestehende oder Blockchain?) geklärt werden müssen. Auch Unternehmen sollen mit dem digitalen Euro bezahlen können. Da die Summe aber pro Bürger auf wenige Tausend Euro begrenzt sein dürfte, hebt der digitale Euro weder das Geld- noch das Zahlungsverkehrssystem aus den Angeln. Das ist so gewollt: Gedacht ist der digitale Euro nämlich vor allem als Ersatz für Bargeld.
Zahlungen zwischen europäischen Unternehmen wären nicht betroffen, solange keine Karten benutzt werden. Über das SEPA-System wird der Zahlungsverkehr autonom abgewickelt. Außereuropäische Zahlungen dagegen laufen über SWIFT. An dem Dienstleister mit Sitz in Belgien sind unzählige Banken aus aller Welt beteiligt. SWIFT ist grundsätzlich immun gegen politische Einflussnahme, aber Handelsgeschäfte in Dollar werden in der Regel über Banken mit Sitz in New York abgewickelt. Und die Amerikaner nutzen die Transparenz im SWIFT-System, um Sanktionen durchzusetzen.
Mehr Bauchschmerzen als die Sorge um nicht abgewickelte Zahlungen sollte allerdings das Thema Datensicherheit bereiten. Europa hat sehr strikte Grenzen gezogen, doch die werden nicht überall auf der Welt geteilt. Der Zahlungsverkehr bietet extrem wertvolle Daten: Zahlungsströme von Unternehmen sind nicht nur für Wirtschaftsspionage, sondern in einigen Branchen auch für militärische Aufklärung geeignet. Die Amerikaner haben im Frühjahr 2018 bereits den CLOUD Act eingeführt, mit dem die Behörden bei strafrechtlichen Ermittlungen den Zugriff auch auf Daten gestatten, die amerikanische Dienstleister im Ausland speichern. Und China will angeblich den Zahlungsdienstleister Alipay verpflichten, dem Staat Bonitätsdaten von Kunden zu liefern.
Mit der European Payments Initiative (EPI) wollen EZB und europäische Banken sowohl den amerikanischen Kartengiganten als auch den Big Techs eine Alternative entgegensetzen, die den besonders gefährdeten Retail-Bereich wieder in europäische Hände überführt. Das erfordert gewaltige Investitionen vom Bankensektor, der Erfolg ist ungewiss. Aber diese Initiative ist wichtiger als der digitale Euro.
Der Zahlungsverkehr bietet extrem wertvolle Daten.
Allerdings sind weder der digitale Euro noch die EPI geeignet, Europas Datenrisiko zu vermindern. Beide zielen auf das Retail-Segment, das kaum politisch sensible Daten enthält. Der digitale Euro könnte nur Schutz vor Spionage bieten, wenn damit auch großvolumige Zahlungen ausgeführt werden könnten. Aber: Wenn der digitale Euro einen großen Teil der Geldmenge ausmachte, ginge die Geldschöpfung von den Geschäftsbanken auf die Zentralbank über – das wäre ein gänzlich neues Geldsystem, das Stand heute niemand will. Um tatsächlich Souveränität zurückzugewinnen, braucht Europa keinen digitalen Euro, sondern europäische Spieler in der kompletten Infrastruktur und Abwicklung des Zahlungsverkehrs – und einen Euro, der weltweit als Handelswährung akzeptiert wird.
12/2021
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.