DAO – Unternehmen ohne Führung

Die Zahl sogenannter DAOs – dezentraler, anonymer Organisationen – explodiert. Sie bieten um rare Assets mit, investieren in Start-ups oder regeln Krypto-Plattformen. Doch kann das wirklich funktionieren: Unternehmen ohne Führung? Die Bilanz ist durchwachsen.

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Die Älteren werden sich erinnern: Blockbuster war einst groß geworden mit dem Videokassettenverleih. Eine DAO will die Marke jetzt als Streaminganbieter wiederbeleben. Foto: picture alliance / REUTERS | Rick Wilking

Wer will die DAOs zählen? Es gibt die Constitution DAO, die eine rare Kopie der US-Verfassung erwerben wollte, eine andere will die untergegangene Videothekenkette Blockbuster wiederbeleben und andere DAOs wollen in Non-Fungible Token (NFT) investieren, das zweite „heiße Ding“ in der Krypto-Welt. Von 2019 bis 2021 ist die Anzahl der DAOs um 660 Prozent gestiegen. Inzwischen verzeichnet die Website DeepDAO mehr als 4.000 DAOs mit mehr als 1,7 Millionen Investoren. Hinter der DAO-Idee steckt aber nicht bloß Spekulation oder Liebhaberei, sondern die Grundidee, dass eine führungslose Organisation einer traditionellen Führungsstruktur überlegen sein kann. Denn die DAO basiert allein auf definierten, transparenten Regeln, genauer gesagt „Smart Contracts“.

Was ist eine DAO – in aller Kürze

Über die Ethereum-Blockchain kann jeder Interessierte Teilhaber einer DAO werden. Dazu muss er einem Smart Contract, der die Ziele, Regeln etc. der DAO festhält, zustimmen und einen Mindestbetrag in der Krypto-Währung Ether investieren. Wer gegen den Smart Contract verstößt, wird ausgeschlossen und verliert sein Investment.

Den initialen Smart Contract erstellen die Gründer, die damit dann Investoren überzeugen müssen. Erst wenn diese Hürde genommen ist, existiert eine DAO als autonomes System. Für Investoren werden Gebühren fällig, aus denen dann wiederum die Entwickler bezahlt werden. Laut „Handelsblatt“ verdienen rund 40 Einzelpersonen bei der bekannten Maker DAO ihren Lebensunterhalt, mit Jahreseinkommen bis zu 1,5 Millionen US-Dollar. Die Investoren verdienen durch Wertsteigerungen des Community-Tokens – quasi den Anteilscheinen an der DAO.

Das hat den Vorteil, dass das Fehlverhalten – ob bewusst oder unbewusst – eines Einzelnen nicht die gesamte Organisation hinabreißen kann. Ein übermächtiger CEO kann Konzerne gefährden, bei der DAO ist dies aufgrund ihrer dezentralen Struktur ausgeschlossen. Ein weiteres Argument der DAO-Anhänger: Während der typische Top-down-Ansatz in klassisch geführten Unternehmen Impulse von Mitarbeitern oder Anteilseignern leicht ignoriert, könnte jeder Investor in der DAO gleichermaßen Input geben und eine Mehrheit für seinen Vorschlag finden. Damit es nicht zu Missbrauch dieser „Basisdemokratie“ kommt, ist allerdings das Investment in die DAO Voraussetzung. Das ist zeitaufwendig, allerdings spart die DAO-Struktur Kosten für Management ein. Die DAO verspricht, demokratischer, günstiger und zuverlässiger zu sein als bisherige Organisationsformen. Nur: Leider ist die Bilanz der bisherigen DAOs nicht das stärkste Argument für die DAO.

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Die Schwierigkeiten der DAO

Vor allem vier Schwierigkeiten sind bislang in der Praxis aufgetaucht:

  1. Die Regeln sind immer nur so gut wie die Programmierung. Zwar hat tatsächlich jeder potenzielle Investor vorher die Möglichkeit, die Smart Contracts zu prüfen. Doch in der Realität wird nicht jeder das Know-how oder auch nur die Zeit haben, den Code genau zu prüfen und mögliche Schwierigkeiten zu antizipieren. Die erste DAO, einfach nur „The DAO“ genannt, erlaubte die gleich mehrfache Rückgabe von Guthaben, bevor der Guthabenstand aktualisiert worden war. Die Programmierer hatten nicht damit gerechnet, dass das jemand machen würde, und zudem die Prozessreihenfolge falsch programmiert: Erst wurde das Kapital ausbezahlt, danach das interne Guthaben aktualisiert. Ein einziger Hacker hat The DAO dadurch (zwischenzeitlich) um 70 Millionen US-Dollar geschröpft.
  2. Transparenz ist Stärke und Schwäche zugleich. Weil die Verhaltensregeln einer DAO offen liegen, können Konkurrenten dieses Wissen für sich nutzen. Nimmt eine DAO beispielsweise an einem Bieterverfahren teil, kennen auch andere Mitbieter die Biet-Höchstgrenze der DAO. Irrationales Verhalten und spontane Planänderungen sind ausgeschlossen und machen die DAO für Dritte berechenbar.
  3. Engagierte Beteiligte („Contributors“) zu gewinnen ist nicht einfach – sie an Bord zu halten noch schwieriger. Die dezentrale Struktur kommt nicht ohne freiwilliges Engagement aus. Doch auch wer vom Sinn der DAO überzeugt ist, mag die Organisation rasch wieder verlassen, sodass es dann an Beteiligten fehlt, die zum Beispiel notwendige Änderungen am Code vornehmen. Es wird erfahrungsgemäß immer eine relativ kleine Zahl solcher Engagierten geben; sie zu halten ist daher essenziell für das Funktionieren einer DAO. Darum geben viele DAOs Belohnungen aus, oft in der Form von Anteilen an der DAO. Andere wiederum erlauben ein Investment nur, wenn die Investoren zugleich „Contributors“ sind, die die DAO weiterentwickeln. Doch das allein reicht noch nicht.
  4. Initiative zeigen ist willkommen, kann aber schnell zu Chaos führen. Auch wenn sich die DAO hierarchielos gibt, gibt es doch häufig „Leaders“, oftmals die ursprünglichen Köpfe hinter der Idee zur DAO. Aber eigentlich soll die Weiterentwicklung der DAO gerade nicht von wenigen „Führern“ abhängen; idealerweise kommen viele Anstöße aus der Mitte der Investorenschaft. Doch viele Investoren wissen nicht, an welcher Stelle sie ansetzen sollen, welche Veränderungen überhaupt sinnvoll sind – und wie sie vermeiden, dass beispielsweise eine gegensätzliche oder sogar ähnliche Idee zeitgleich entwickelt wird. Da die Contributors oft nur in ihrer Freizeit und in unterschiedlichen Zeitzonen arbeiten, sind neue Tools der Zusammenarbeit wichtig, bei denen alle Beteiligten die Spielregeln der Kollaboration einhalten. Nur so können Arbeiten in effizienten Teams („Guilds“ genannt) umgesetzt werden. Die richtige Mischung aus Freiheit (zur Motivation der freiwilligen Contributors) und Vorgaben zu finden ist nicht einfach.

Ein Modell auch für die Nicht-Krypto-Welt?

Diese Schwierigkeiten – und die dezentrale Entscheidungsstruktur, die immer wieder aufs Neue Beschlüsse der Investoren erfordert – behindern die Entwicklung und den Erfolg einer DAO. Dennoch scheinen diese Hindernisse nicht unüberwindlich zu sein. Und die Vielzahl der DAOs, die insbesondere in den vergangenen zwei Jahren in ganz unterschiedlichen Bereichen entstanden sind, spricht für eine rasche Lernkurve der DAO an sich. Es gibt zahlreiche erfolgreiche DAOs, allerdings werden diese medial weniger beachtet als spektakulär gescheiterte Fälle. Alexander Bechtel von der Deutschen Bank sieht durchaus sinnvolle Anwendungsfelder für DAOs: „Was ist gewonnen, wenn ein dezentraler, blockchain-basierter Versicherungskontrakt zentral unter einem Unternehmensdach verwaltet und aufbewahrt wird? Nicht immer ist die Einbindung eines Intermediärs notwendig oder bringt einen Mehrwert.“ DAOs würden entsprechend Kosten sparen helfen. Allerdings zieht er enge Grenzen, vor allem außerhalb der „DeFi“(Decentralized Finance)-Welt: „Die allermeisten Dinge lassen sich zentral viel leichter und effizienter auf- und umsetzen. Bei DAOs muss jede Entscheidung von einer Mehrheit getroffen werden. Das ist in vielen Fällen nicht nur unpraktisch und langsam, sondern stößt beim Thema Governance und Verantwortung schnell an Grenzen. Unsere aktuellen Rechtssysteme lassen sich da nicht einfach überstülpen.“ Für eine Umsetzung von DAOs auch in der Nicht-Krypto-Welt spricht bisher wenig.

„Die allermeisten Dinge lassen sich zentral viel leichter und effizienter auf- und umsetzen.“

Alexander Bechtel, Head of Digital Asset and Currency Strategy, Deutsche Bank

Dabei gibt es Enthusiasten, die sich eine rein regelbasierte Organisation durchaus für klassische Unternehmensbereiche wie Personal-Recruiting, Ein- und Verkauf, Lagerhaltung, Cash Management etc. vorstellen könnten. Dabei könnte automatisch die Produktion oder die Beschaffung von Produkten, die weniger nachgefragt werden, gedrosselt werden. Mitarbeiter werden nur mit den definierten Qualifikationen eingestellt. Oder Preise steigen mit der Nachfrage automatisch an. Der augenscheinliche Vorteil für Investoren: Das Principal-Agent-Problem entfällt, der Manager „meines“ Unternehmens kann keine fragwürdigen Entscheidungen treffen. Den Spielraum für Unsicherheit, ob eine Entscheidung im Sinne der Eigentümer oder im Eigeninteresse des Managers ist, gäbe es nicht mehr.

Die Unternehmenswelt ist zu komplex

In vielen Unternehmenssituationen mag dies durchaus funktionieren. Doch sind die meisten Unternehmen deutlich komplexer, als es bisherige DAOs sind. Wer will die Komplexität menschlicher Entscheidungen in Smart Contracts übersetzen wollen? Vor allem aber fehlt die Flexibilität, per Erfahrung rasch auf Unvorhergesehenes wie eine Pandemie, Lieferkettenrisse oder den Ausfall eines Großkunden reagieren zu können. Die Unternehmenspraxis ist selten eindeutig; die meisten Entscheidungen sind immer auch eine persönliche Abwägung von Argumenten. Manche Entscheidung wird sich im Nachhinein als Investoren-schädlich erweisen, ohne dass dem Manager wirklich ein Fehler vorgeworfen werden könnte.

Anwendungsfelder für DAOs

Die wichtigsten Typen von DAOs:

  • Protokoll-DAOs wie Uniswap, Aave und Maker werden als Eigentums- und Governance-Mechanismus für Kreditplattformen etc. verwendet, um die entsprechende Plattform fair und dezentral weiterzuentwickeln. Sie gehören zu den kapitalstärksten DAOs derzeit.
  • Investment-DAOs wie MetaCartel ähneln klassischen Investmentfonds, allerdings stimmen die Inhaber ab, wie der Kapitalpool die eingesammelten Mittel investiert.
  • Grant-DAOs wie Gitcoin, Uniswap Grant oder Moloch finanzieren und fördern neue Projekte mit einer Art Stipendium, vor allem im DeFi-Bereich. Die Grant-DAOs sind oft ein philanthropischer Arm größerer Projekte.
  • Collector-DAOs wie Spice DAO oder PleasrDAO erwerben Sammlerstücke wie Kunstwerke oder Musik, jedoch keine Unternehmensbeteiligungen o.a.

Das mindert nicht die Vorteile von DAOs in engen Nischen; doch die Utopie vom dezentralen, selbstständigen Unternehmen könnte sich zu leicht als Dystopie entpuppen. Die DAO wird in der DeFi-Welt ihren festen Platz wahren, in der „realen“ Unternehmenswelt wird sich an den klassischen Entscheidungsmustern aber nicht viel ändern.

2/2022
Chefredaktion: Bastian Frien und Boris Karkowski (verantwortlich im Sinne des Presserechts). Der Inhalt gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers (Deutsche Bank AG) wieder.