„Der Glaube an sich selbst ist entscheidend“

Theresa und Amelie Stoll: zwei Schwestern, zweimal Weltspitze im Judo – aber nur ein Ticket für die Spiele in Tokio, die erst 2021 stattfinden werden. Das Ticket konnte vor kurzem Theresa lösen, dann kam die Coronavirus-Krise. Im Interview sprechen die Zwillinge und ihr Trainer Lorenz Trautmann jetzt darüber, wie sich die aktuelle Situation auf Training, Stimmung und sportlichen Alltag auswirkt.


Die Spiele sind verschoben, dennoch steht fest, wer von euch beiden teilnehmen wird. Wie habt ihr erfahren, wer nach Tokio gefahren wäre?


Theresa Stoll: Das war total unspektakulär. Wir waren im Trainingslager nach unserem Heim-Grand-Slam in Düsseldorf. Als wir uns gerade einen Kaffee holen wollten, haben wir den Bundestrainer getroffen und er hat es uns dann einfach gesagt. Danach haben wir uns fertig gemacht und sind ins Training gegangen (lacht).


Amelie Stoll: So wirklich feiern konnten wir das nicht, wir waren ja mitten im Trainingslager. Zumal davor schon relativ klar war, dass die Entscheidung so ausfallen würde.


Ändert sich an deiner Vorbereitung etwas, nun da die Spiele erst 2021 stattfinden?


Theresa Stoll: Das Hauptproblem ist die Planung. Wir wissen nicht, wann die nächsten Wettkämpfe stattfinden, wann wir wieder ins Trainingslager können und wie die Qualifikation – die ja noch nicht komplett abgeschlossen ist – weitergeht. Trotzdem versuchen wir, fit zu bleiben und das Beste aus der Situation zu machen. Ich versuche immer noch mal, ein bis zwei Prozent mehr rauszuholen. Zusätzlich arbeite ich mit einem Mental-Coach. Da geht es um bestimmte Probleme, die in Wettkämpfen auftreten können. Hinzu kommen viele Video-Analysen zusammen mit dem Trainer.


Was ändert sich für dich als Trainer nach so einer gravierenden Entscheidung?


Lorenz Trautmann: Das Training verändert sich deutlich. Wir bereiten uns gezielt auf die Gegner vor, mit denen wir bei den Spielen in Tokio rechnen müssen. Da einige Wettkämpfe der Qualifikation noch nicht stattgefunden haben, wissen wir nicht genau, welche Gegner kommen. Wir können uns an der Weltrangliste orientieren, die sich an vielen Stellen mit der Olympialiste überschneidet. Grundsätzlich wollen wir die Stärken von Theresa weiter ausbauen, und deshalb ist es für uns eigentlich kein Nachteil, ein Jahr länger trainieren zu können. Theresa wird nächstes Jahr noch besser sein.


Worin siehst du ihre größte Stärke?


Lorenz Trautmann: Sie bringt extreme Schnelligkeit und ideale körperliche Voraussetzungen für unsere Disziplin mit. Dadurch kann sie kleinere Schwächen bei den Gegnern sehr gut ausnutzen. Eine ganz große Stärke ist aber auch, wie positiv, wie angriffslustig sie in jeden Kampf hineingeht. Gerade dieser Glaube an sich selbst ist bei den großen Wettkämpfen absolut entscheidend.


Theresa, was beschäftigt dich, wenn du an die Spiele in Tokio denkst?


Theresa Stoll: Für einen Sportler ist es einfach DAS größte Ziel, bei den Spielen antreten zu dürfen. Es geht um einen Tag innerhalb von vier Jahren, an dem man topfit sein muss. An dem man alles, was man die Jahre vorher trainiert hat, abrufen muss. Der Medienrummel bei den Spielen ist ebenfalls enorm. Da muss man bei sich bleiben, muss konzentriert bleiben.


Dämpft die Verschiebung der Spiele den Teamgeist?


Theresa Stoll: Nein, eher im Gegenteil. Wenn wir die Krise überwunden haben, werden wir das Gemeinschaftsgefühl und die tollen Emotionen, die die Spiele in uns allen auslösen, noch viel mehr zu schätzen wissen.


Amelie, wie unterstützt du deine Schwester in der Vorbereitung?


Amelie Stoll: Für das gesamte Frauen-Judo-Team dürfen zwei Trainingspartnerinnen mitfahren. Ich bin eine davon. Wahrscheinlich werde ich auch direkt vor jedem Wettkampf Theresas Aufwärm-Partnerin sein. Das macht mich stolz.


Die Sportwelt steht ja gerade Kopf. Wie wirkt sich die Coronavirus-Krise nun konkret auf euren Trainingsalltag aus?


Theresa Stoll: Alles hat sich geändert! Wir hatten vor, zwei Wochen in Japan zu trainieren – das wurde abgesagt. Wir sind momentan zuhause in München und im Training auf uns alleine gestellt. Unsere Judohalle wurde geschlossen.


Amelie Stoll: Die offizielle Qualifikationsphase für die Spiele in Tokio geht eigentlich noch bis Ende Mai. Bis dahin hätten noch viele Turniere stattfinden sollen, aber die Internationale Judo-Föderation hat erstmal alle Wettkämpfe bis Ende April gestrichen. Inoffiziell haben wir auch schon gehört, dass bis Anfang September alles ausgesetzt wird.

Wie lässt sich ein effektives Training ohne direkten Kontakt mit anderen bewerkstelligen?


Amelie Stoll: Athletik, Kraft- und Zirkeltraining können wir problemlos machen, aber Judo ohne Körperkontakt ist praktisch unmöglich. Bevor das bundesweite Kontaktverbot galt, konnten wir noch in einer kleinen Gruppe arbeiten, die unser Trainer für uns zusammengestellt hat. Nun können wir aufgrund der Ausgangsbeschränkung nur noch zu zweit trainieren.

Wurdet ihr und eure Partner auf Covid–19 getestet?


Lorenz Trautmann: Wir hätten gerne gesehen, dass jeder getestet wird. Das ist aber unter den derzeitigen Bedingungen nicht möglich. Ich war der Einzige, der sich testen lassen konnte – warum, wissen wir nicht genau. Wir hoffen, dass hier bald Klarheit geschaffen wird.


Schlagen sich diese Widrigkeiten auf die Motivation nieder?


Lorenz Trautmann: Nein, wir sind alle voll dabei. Wir sind froh, uns mit dem Sport etwas von dem allgemeinen Wahnsinn ablenken zu können. Wir wissen aber nicht, was passiert, wenn die aktuelle Situation noch deutlich länger andauert. Momentan sind wir froh, überhaupt noch trainieren zu können. Unser größtes Problem ist derzeit zum Glück tatsächlich, dass wir weder kurz- noch langfristig planen können.


Theresa, wie wichtig ist für dich dein Umfeld in diesen unsicheren Zeiten?


Theresa Stoll: Das ist enorm wichtig für mich. Es gibt mir das Gefühl, dass wir trotz der chaotischen Situation einen festen Plan haben, mit dem wir die Olympia-Vorbereitung gut organisieren können.


Du studierst Medizin, einen stark strukturierten Studiengang, bei dem laufend Prüfungen anstehen. Welche Konsequenzen ergeben sich dafür?


Theresa Stoll: Ursprünglich wollte ich im Sommer ein Urlaubssemester nehmen, werde nun aber stattdessen versuchen, einige Prüfungen abzulegen, die mir noch fehlen. Zusätzlich habe ich noch einige offene Kurse, Seminare und Praktika, für die ich einzelne Fehltermine nachholen muss. Aber da zurzeit auch alle Pflichtveranstaltungen an der Uni ausgesetzt sind, ist nicht klar, wann ich das machen kann.

Wirst du dein Studium nun auch intensiver verfolgen?


Ja, ich hatte zwar ebenfalls ein Urlaubssemester geplant, werde nun aber auch einige Prüfungen nachholen. Außerdem versuche ich, ein Praktikum zu organisieren, das auch ein Teil meines Studiums ist. Das ist momentan aber natürlich auch sehr schwierig und von vielen Faktoren abhängig.


Was möchtet ihr euren Fans und Teamkollegen auf den Weg geben?


Theresa Stoll: Schränkt eure sozialen Kontakte so gut es geht ein und minimiert die Risikofaktoren. Bewegt euch und geht auch mal raus an die frische Luft!


Lorenz Trautmann: Die große Gefahr ist, dass jetzt irgendwelche Schuldigen gesucht werden. Dabei sollten wir nun zeigen, dass wir zusammenstehen können und dass es echte Solidarität gibt.

Leistungssport und Karriere vereint


Die Deutsche Bank fördert gemeinsam mit der Deutschen Sporthilfe studierende Athleten mit einem Sport-Stipendium, um Leistungssport besser mit beruflicher Karriere zu vereinbaren. Damit sich die Athleten und Athletinnen auf das Wesentliche konzentrieren können — und Ihre jeweiligen Ziele erreichen.

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