Nico Dreimüller, 23 Jahre alt und in Frankfurt am Main geboren, ist einer davon. Nico spielt seit seinem fünften Lebensjahr Rollstuhlbasketball – inzwischen gehört er zu den Besten seiner Disziplin. Er ist Mitglied der deutschen Nationalmannschaft und aktuell bei den ING Skywheelers in Frankfurt unter Vertrag. Davor spielte er in anderen deutschen und europäischen Clubs, zuletzt beim spanischen Meister BSR Albacete. Zu seinen bisher größten Erfolgen zählen der Weltmeistertitel der Junioren im Jahr 2013, der achte Platz bei den Paralympics 2016 und der dritte Platz bei der Europameisterschaft 2017. Außerdem gewann er 2015 mit dem RSV Lahn-Dill neben der deutschen Meisterschaft auch den Landespokal und die Champions League.
Nico ist der Beweis dafür, dass sich Hochleistungssport und vegane Ernährung nicht ausschließen müssen. Denn Nico ernährt sich seit rund zwei Jahren weitgehend vegan. Die Vorurteile kann er bestätigen: „Viele Profisportler glauben, dass sie regelmäßig und viel Fleisch zu sich nehmen müssen, um voll leistungsfähig zu sein.“ Doch auf die Frage nach seinem eigenen Leistungsniveau sagt er: „Ich spüre überhaupt keine negative Beeinflussung durch vegane Ernährung. Tatsächlich habe ich in den letzten beiden Jahren so gut gespielt wie noch nie zuvor.“
Es ist sogar durchaus möglich, dass Sportler ihre Leistung erhöhen, indem sie auf tierische Nahrungsmittel verzichten. „Viele fühlen sich vitaler und können ihre Kräfte schneller regenerieren“, sagt Ernährungsberaterin Aleksandra Keleman, die schon seit Jahren Profisportler in Sachen leistungsfördernde Ernährung anleitet. Sie lebt selbst seit neun Jahren vegan und interessiert sich besonders für die Vorteile im Sport, die diese Lebensweise mit sich bringen kann. Zwar ist die Leistungssteigerung durch vegane Ernährung nur schwer messbar und noch nicht durch Studien belegt. Keleman untermauert die Beobachtung jedoch mit den Berichten der Sportler, die sie betreut. „So gut wie alle fühlen sich fitter, können ihre Leistung besser auf verschiedene Trainingseinheiten verteilen und haben seltener als früher Muskelprobleme“, sagt sie. „Es geht vor allem um das körperliche Gesamtgefühl. Viele Sportler fühlen sich nach der Umstellung auf vegane Ernährung insgesamt einfach besser.“
Während bei den meisten der von Keleman betreuten Athleten die Leistungssteigerung im Vordergrund steht, spielen für Nico Dreimüller politische und gesellschaftliche Zusammenhänge rund um das Thema Nachhaltigkeit eine viel größere Rolle. Natürlich freut er sich auch über seine gesteigerte Fitness, doch in erster Linie geht es ihm um Klima- und Tierschutz. Und darum, mit seiner Ernährung zu einer ganzheitlich nachhaltigen Lebensweise beizutragen.
„Für die weltweite Fleischproduktion werden jeden Tag große Teile des Amazonasregenwalds abgeholzt, um darauf riesige Rinderherden zu halten“, sagt er. „Dazu möchte ich nichts beisteuern. Die Konsequenz daraus lautet für mich, auf Fleisch zu verzichten.“ Nico will keine Strukturen unterstützen, die den Raubbau an der Natur begünstigen. Er bemängelt, dass viele Menschen nicht hinterfragen, woher das günstige Steak kommt, das mitunter täglich auf ihrem Speiseplan steht. Trotzdem will er nicht als Bekehrer wahrgenommen werden. Er findet es vollkommen in Ordnung, wenn seine Freunde und Teamkollegen Fleisch essen. „Aber sobald man anfängt, sich genauer mit seiner Ernährung zu beschäftigen, setzt sich auch ein mentaler Prozess in Gang“, sagt er. „Auf die Einstellung zum Essen kommt es an, denn sie definiert viel in unserem Leben. Durch vegane Ernährung achte ich insgesamt mehr auf mich.“
Nico weiß, dass die Umstellung auf eine Ernährung ohne tierische Produkte vielen Menschen sehr schwerfällt. Vor allem, wenn von Familie, Freunden oder Kollegen keine Unterstützung kommt, können Interessierte ihren Speiseplan oft kaum einhalten. Im privaten Umfeld stand Nico seine Freundin zur Seite, die sich ebenfalls vegan ernährt. Im sportlichen Alltag halfen ihm zwei Teamkollegen in Spanien, motiviert zu bleiben. Vor allem die Reisen zu Auswärtsspielen hielten oft kulinarische Herausforderungen für die vegan lebenden Sportler bereit. „Ich war froh, dass ich zwei erfahrene Leute hatte, an die ich mich dranhängen konnte“, erzählt Nico. „Es ist sehr wichtig, dass man Menschen um sich hat, die diese Art zu leben respektieren.“ Mit der Umstellung auf vegetarische oder vegane Ernährung ändert sich nicht nur der Speiseplan. „Man muss anders einkaufen, anders kochen, anders denken“, sagt er. „Und das ist zusammen auf jeden Fall einfacher als alleine.“
Auch bei Nico passierte die Umstellung nicht von einem Tag auf den anderen. Die Suche nach alternativen Nahrungsmitteln, etwa pflanzlichen Proteinquellen auf Sojabasis, hat etwas gedauert. Zudem musste er sich erst mental an die neuen Regeln anpassen. „Nach einigen Wochen fiel es mir dann sehr leicht“, berichtet er. „Das Bedürfnis nach Fleisch und Milch ist verflogen und ich habe mich an andere Lebensmittel gewöhnt.“ Mit einem Teamkollegen hat er oft über die Beweggründe für eine vegane Ernährung gesprochen: „Gemeinsam haben wir festgestellt, dass Fleisch zwar gut schmeckt, aber nicht so gut, dass ich rechtfertigen kann, dass dafür ein Tier gestorben ist.“
Einen genauen Ernährungsplan hat er nicht. Er kocht einfach, worauf er Lust hat – von frisch gegartem Gemüse über kohlenhydrathaltige Getreidesorten wie Weizen, Reis und Hirse bis hin zu Kartoffeln, Hülsenfrüchten und bunten Obstsalaten. So geht er mit gutem Beispiel voran und inspiriert andere. Auch seine Familienmitglieder ernähren sich seither viel bewusster und achten genauer darauf, wo sie Fleisch kaufen und wie viel sie davon essen. Sein Rat für alle, die auch nachhaltiger leben möchten: „Das Wichtigste ist, dass man einfach mal ausprobiert, ohne tierische Nahrungsmittel auszukommen. Dabei sollte man nicht zu streng mit sich sein. Es reicht schon, den eigenen eingespielten Konsum genauer zu betrachten. Was kommt auf meinen Teller und wo kommt es her?“